Nach Corona wollen viele im Homeoffice bleiben – jetzt müssen die Firmen mehr bieten als farbige Sofas

Wenn Christian Grosen ins Büro kommt, sich aufs Sofa setzt und seine Beine von sich streckt, ist er von grünen Pflanzen umgeben, hört Vogelgezwitscher und blickt aus dem Dachfenster auf den Campus von Vitra. Die Pflanzen sind echt, die Vogelstimmen stammen von versteckten Lautsprechern, tragen aber ebenso zur entspannten Atmosphäre bei.

Pandemiekonform an der frischen Luft arbeiten.

Pandemiekonform an der frischen Luft arbeiten.

Bild: Severin Bigler

«Wenn man will, dass die Mitarbeitenden aus dem Homeoffice zurückkehren, muss man ihnen etwas bieten», sagt Grosen. Und dass sie zurückkehren, daran liegt ihm persönlich viel. Denn als der neue Design-Chef des Möbelherstellers Vitra vor einem Jahr von Kopenhagen nach Birsfelden bei Basel kam, war die Pandemie bereits im Gang und seine neuen Arbeitskolleginnen vorwiegend im Homeoffice. «Natürlich war das nicht optimal, um in einen neuen Job hineinzufinden», erinnert sich der 46-jährige Däne.

Bald wurde klar, dass ein wichtiger Teil seines neuen Jobs darin besteht, für sein Team ein neues Büro zu konzipieren. «Man kann nicht erwarten, dass die Mitarbeitenden in ihre alten Büro­räume zurückkehren und weiterarbeiten, als hätte es nie eine Pandemie gege­ben», sagt Grosen. Die meisten ­haben das Homeoffice schätzen gelernt; viele haben es nicht sehr ­eilig, zurück an den Arbeitsplatz zu gelangen.

88 Prozent wollen weiterhin im Homeoffice arbeiten

Eine Studie des Beratungsunternehmens Accenture kam zum Schluss, dass 83 Prozent der Büroangestellten auch künftig mindestens teilweise im Homeoffice arbeiten wollen. Bei einer Umfrage von Deloitte sprachen sich sogar 88 Prozent dafür aus, wobei 26 Prozent am liebsten komplett zu Hause bleiben möchten. Am Homeoffice schätzen die Mitarbeitenden vorab die Ruhe, und sie glauben, produktiver sein zu können. Hauptmotivation für den Gang ins Büro ist der Austausch mit den anderen.

Die Firmen bereiten sich nun auf die Rückkehr der Angestellten vor. Viele wechseln von festen Arbeitsplätzen zum Modell Desksharing – schliesslich werden die meisten auch künftig ein, zwei Tage von zu Hause aus arbeiten. Folglich werden weniger Arbeitsplätze gebraucht, und der frei werdende Platz kann genutzt werden, um das Büro wohn­zimmer­licher zu gestalten. Grosen:

«Es ist nicht damit getan, ein paar Schreibtische herauszunehmen und durch farbige Sofas zu ersetzen.»
Der Design-Chef Christian Grosen hat das Büro der Zukunft konzipiert.

Der Design-Chef Christian Grosen hat das Büro der Zukunft konzipiert.

Bild: Severin Bigler

Das Büro müsse von Grund auf neu gedacht werden. Es muss ein Ort sein, der einerseits spontane Treffen zwischen verschiedenen Mitarbeitenden ermöglicht und andererseits Teams ein kreatives Umfeld für ihre Meetings bietet. Nicht zuletzt sollen sich Angestellte auch zurückziehen können, um ein paar Stunden in Ruhe Pendenzen abzuarbeiten. Bei Vitra nennen sie diesen Ort Club-Office – in Anlehnung an ein Clubhouse, in dem man freiwillig zusammenkommt.

Das eingangs erwähnte, von Pflanzen umgebene Sofa ist der ideale Ort, um sich in einer kleinen Gruppe auszutauschen.

Arbeiten drinnen im Grünen – zu Vogelgezwitscher.

Arbeiten drinnen im Grünen – zu Vogelgezwitscher.

Bild: Severin Bigler

Es befindet sich unter dem Dach über dem eigentlichen Büro und ist nur über eine steile Treppe erreichbar. Darunter findet man abgeschottete Plätze für das ungestörte Arbeiten allein. Bücherwände und lange Vorhänge sorgen nicht nur für die dazu passende Atmosphäre, sondern schlucken auch den Schall, der vom belebteren Teil des Büros hierher dringt.

Industrial Groove oder flauschiger Charme

Für Grosen sind diese abgekapselten Arbeitsplätze wichtig. Sie sind das Bindeglied zwischen Office und Homeoffice. Wer während der Pandemie in einem ruhigen Zimmer allein gearbeitet hat, der will nicht in ein lärmiges Grossraumbüro, wenn er konzentriert arbeiten muss.

Ebenfalls Teil des Club-Office sind drei Besprechungszimmer, die man reservieren kann. Thematisch individuell gestaltet – je nachdem, ob man gerade einen kühlen Industrial Groove oder den Charme von flauschigen Fauteuils bevorzugt.

Flauschige Atmosphäre für konstruktive Gespräche.

Flauschige Atmosphäre für konstruktive Gespräche.

Bild: Severin Bigler

In der offenen Fläche in der Mitte befindet sich das Herzstück des Club-Office. Man könnte es als Mischung aus Hotel-Lobby, WG-Küche und Büro bezeichnen. Jeder findet hier einen individuellen Arbeitsplatz – auf einem bequemen Stuhl, einem Sofa, an einer Theke oder an einem konventionellen Tisch. Der Clou: Jeder Stuhl, jeder Tisch, jede (Trenn-)Wand kann bewegt und neu arrangiert werden.

Sofas können hinzugestellt, Paravents angebracht werden, je nachdem, wie viele Mitarbeiter bei Vitra gerade anwesend sind.

Sofas können hinzugestellt, Paravents angebracht werden, je nachdem, wie viele Mitarbeiter bei Vitra gerade anwesend sind.

Bild: Severin Bigler

«Das Büro von heute ist flexibel gestaltbar und kann seine Struktur in wenigen Augenblicken den Bedürfnissen der Mitarbeitenden anpassen», erklärt Grosen. So haben die Designer von ­Vitra während der Pandemie beispielsweise ihr ikonisches Sofa Alcove so angepasst, dass man mehrere Elemente aneinanderkoppeln und Paravents per Reissverschluss daran befestigen kann. So lässt sich wahlweise ein abgeschotteter Einzelarbeitsplatz einrichten, ein temporärer Besprechungsraum für eine kleine Gruppe bilden oder eine offene Umgebung für ein Brainstorming gestalten.

Wenn man einen Bildschirm oder ein Flipchart braucht, rollt man einfach eine Dancing Wall heran. So nennt Vitra eine neu konzipierte Trennwand auf Rändern, die man individuell bestücken kann. So lässt sie sich etwa als Bücherregal oder als vertikaler Garten nutzen. Schöne neue Bürowelt. Es ist ein bisschen wie Legospielen mit Möbeln.

Als Nora Fehlbaum, die Chefin von Vitra, das fertige Club-Office betrat, war sie zwar davon angetan, fand es aber noch zu steril. Und ermunterte ihre Mitarbeitenden, es zu ihrem Office zu machen, es an ihre Bedürfnisse anzupassen. «Ein gutes Büro kann sich mit einem Unternehmen entwickeln – wachsen, verändern, anpassen», sagt Fehlbaum, die das Familienunternehmen Vitra in der dritten Generation führt.

«Die Coronapandemie hat einen Wandel beschleunigt, der zwar seit Jahren vorausgesagt wurde, sich aber nur schleppend vollzogen hat», sagt Fehlbaum. «Wir konzipieren gerade zahlreiche Club-Offices in der Schweiz für unsere Kunden.»

Das Ende des Grossraumbüros? Google baut seine Räume um

Das Büro. Es war schon immer eine Baustelle. Vor nicht allzu langer Zeit rissen Unternehmen Wände ein, um aus kleinen Räumen auf einer offenen Fläche ein modernes Grossraumbüro zu konzipieren. Mitarbeitende sollten sich ständig über den Weg laufen, sich austauschen und nicht in Einzelbüros verschanzen. Schliesslich wurde das Kämmerchen für den emsig auf seiner Schreibmaschine tippenden Kaufmann gebaut und nicht für den modernen Teamworker konzipiert.

Im Silicon Valley überboten sich die Tech-Unternehmen zuletzt mit noch grösseren und noch offeneren ­Büros – keine Wände, volle Trans­parenz. Nicht einmal Mark Zuckerberg hat bei Facebook ein Einzelbüro, ­sondern bloss einen Arbeitsplatz an einer langen Tischreihe – wo er allerdings, so wird berichtet, nur selten zu sehen sei.

Doch das Grossraumbüro ist, wie die Pandemie zeigt, nicht das Ende der Büro-Revolution. Das erkennt auch Google, dessen farbenfrohe Räum­lichkeiten mit den lustigen Rutsch­bahnen das Bild der hippen Grossraumbüros in den letzten Jahren vornehmlich geprägt haben. Letzten Monat wendete sich CEO Sundar Pichai in einem Mail an seine Mitarbeitenden, um das neue «Multizweckbüro» von Google zu skizzieren.

Es soll auf das hybride Arbeiten zugeschnitten sein, da viele Mitarbeitende auch weiterhin mindestens teilweise von zu Hause aus tätig sein werden. Besprechungen sollen pandemiekonform auch auf dafür eingerichteten Terrassen an der frischen Luft stattfinden können. Ein neues Videokonzept soll dafür sorgen, dass Mitglieder, die sich von zu Hause in eine Sitzung schalten, nicht benachteiligt sind. Vor allem nimmt man offenbar Abschied von festen Arbeitsplätzen.

Der Knackpunkt des hybriden Arbeitens sind Sitzungen. Wer nicht physisch präsent ist, geht unter – ausser sein Bild nimmt gleich viel Raum ein wie die Personen vor Ort. Google hat dafür ein neues Konzept entwickelt.

Der Knackpunkt des hybriden Arbeitens sind Sitzungen. Wer nicht physisch präsent ist, geht unter – ausser sein Bild nimmt gleich viel Raum ein wie die Personen vor Ort. Google hat dafür ein neues Konzept entwickelt.

Bild: Cayce Clifford/NYT/laif

Die Mitarbeitenden bestimmen täglich neu, wie ihr Büro aussieht

In New York und andernorts wird das Konzept derzeit erprobt. Schweizer Google-Mitarbeitende hoffen, dass man im September – bis dahin darf vollumfänglich in Homeoffice gearbeitet werden – auch in dessen Genuss kommt. Google-Büros sind zwar schon jetzt mit vielen farbigen Features ausgestattet. So gibt es etwa Seilbahnkabinen als Besprechungszimmer. Und Googlers wurden mit Goodies gelockt, wie Gratisessen und Fitnesscenter. Die eigentlichen Arbeitsplätze aber sind eher kommun. Die Pandemie dürfte auch die Räume bei Google umgestalten. Weg vom Grossraumbüro, hin zu einem «Collaborative Workspace», wie man das Konzept des Club-Office auch nennt.

Bis jetzt war es so, dass das Büro das Arbeitskonzept auferlegt hat. Im Post-Pandemie-Büro soll das umgekehrt sein. Vitra-Design-Chef Christian Grosen sagt:

«Nicht die Büroräume geben vor, wie gearbeitet wird, sondern die Mitarbeitenden, wie die Räume zu sein ­haben.»

Schliesslich kann das Büro jederzeit den neuen Bedürfnissen angepasst werden. Wenn bloss 20 Prozent der Belegschaft da sind, sieht es anders aus, als wenn alle anwesend sind, in einem Findungsprozess anders als in der Abschlussphase eines Projekts.

Das Gute dabei: Anders als bei der letzten Bürorevolution müssen dafür keine Mauern eingerissen, sondern bloss Möbel verrückt werden.