
Nach dem Postauto-Skandal: Amtschef und Politiker orten «dringenden Handlungsbedarf»
Alle hatten den Handlungsbedarf erkannt: der Nationalrat, der Ständerat und auch der Bundesrat. «Wir sind auch der Meinung, dass das Verwaltungsstrafrecht an die Entwicklungen (…) anzupassen ist», sagte die damalige Justizministerin Simonetta Sommaruga am 24. September 2015 im Ständerat. Also vor knapp sechs Jahren. Getan hat sich in dieser Sache jedoch nichts, oder jedenfalls nicht viel.
Die Folge: Die in der Zwischenzeit aufgeflogenen Skandale um zu viel bezogene Subventionsgelder bei Postauto und dem Bahnunternehmen BLS müssen nun mit dem alten Verwaltungsstrafrecht bewältigt werden. Ganz zum Ärger des Bundesamtes für Verkehr (BAV): «Das BAV sieht dringenden Handlungsbedarf bei der Modernisierung des Verwaltungsstrafrechts», betont auch Amtsdirektor Peter Füglistaler auf Anfrage. «Die unklare Situation könnte im schlimmsten Fall dazu führen, dass eine strafrechtliche Klärung von grossen Subventionsfällen aus verfahrensrechtlichen Fragen nicht zustande kommt.»
Das Verwaltungsstrafrecht stammt aus dem Jahr 1974

Ständerat Andrea Caroni reichte vor knapp sieben Jahren einen Vorstoss zur Modernisierung des Verwaltungsstrafrechts ein.
Den Anstoss zur versprochenen Modernisierung des Verwaltungsstrafrechts gab 2014 der damalige Nationalrat und heutige Ständerat Andrea Caroni. Der freisinnige Politiker ist auch sieben Jahre später noch immer der Meinung, das hier Handlungsbedarf bestehe. Es sei unbestritten, dass die alten Rezepte «in keiner Weise» mehr genügten, hält Caroni im besagten Vorstoss fest. «Die teils hochkomplexen Verfahren mit Bussen von bis zu mehreren Millionen Franken verlangen nach einem rechtsstaatlich einwandfreien, gleichzeitig verfahrensökonomischen Rahmen.»
Das Verwaltungsstrafrecht, das aus dem Jahr 1974 stammt, setzt auf ein Expertensystem. Das heisst: Im Konfliktfall ist jeweils jenes Amt zuständig, das die Sache auch sonst behandelt. «Das ist im Grundsatz richtig», sagt Philipp Matthias Bregy, Nationalrat, Mitte-Fraktionschef und Strafrechtsspezialist. «Denn oft geht es um sehr technische Fragen, die ein spezifisches Fachwissen verlangen.» Doch die Spezialisten aus den Ämtern seien bei grossen Straffällen mit millionenschweren Deliktsummen überfordert.
Es fehlt an Ermittlungserfahrung und an Ressourcen

Philipp Matthias Bregy, Nationalrat, Mitte-Fraktionschef und Strafrechtsspezialist, fordert, dass das Verwaltungsstrafrecht reformiert wird.
Oder anders gesagt: Dem zuständigen Verkehrsamt fehlen die Kompetenzen, um einen 200-Millionen-Postauto-Fall vor Gericht zu stemmen. «Da mangelt es an Ermittlungserfahrung, an Ressourcen», erklärt Bregy. Ganz zu schweigen davon, dass im konkreten Fall auch gewisse Interessenskonflikte bestehen könnten. Dementsprechend war es nur logisch, dass der Postauto-Fall an ein anderes Amt weitergegeben worden sei. Doch auch das beauftragte Bundesamt für Polizei (Fedpol) wollte den Fall nicht selbst übernehmen – und gab die Verfahrensleitung an zwei externe Fachpersonen ab, an den ehemaligen Bundesrichter Hans Mathys und an den Neuenburger Kantonsrichter Pierre Cornu.
Doch genau diese Weitergabe ist im Verwaltungsstrafrecht nicht vorgesehen, weshalb die Anklage im Postauto-Fall sowohl vom Berner Wirtschaftsgericht sowie vom Obergericht für nichtig erklärt wurde. Es brauche jetzt beim Verwaltungsstrafrecht dringend Anpassungen und Vereinfachungen, sagt Bregy:
«Der heutige Zustand ist unhaltbar.»
Nun hat das Bundesamt für Justiz (BJ) die Arbeit an der Modernisierung des Verwaltungsstrafrechts doch noch aufgenommen: «Der Vorentwurf und erläuternde Bericht zur Totalrevision des Verwaltungsstrafrechts ist in Vorbereitung und soll voraussichtlich im Frühjahr 2022 in die Vernehmlassung gehen», heisst es jetzt beim Amt. Damit würde das Versprechen ganze acht Jahre nach der Einreichung des Vorstosses von Caroni endlich erfüllt. «Die Arbeiten haben sich aufgrund von anderen prioritären Geschäften verzögert.»
Fedpol verfolgt zwei Pisten parallel
Für die Subventionsskandale bei Postauto und BLS kommt die Reform freilich zu spät. Das BJ betont denn auch, dass «Fälle wie diese mit der aktuellen Gesetzgebung behandelt werden können».
Es bleibt ja auch nichts anderes übrig. Das Fedpol hofft weiterhin, dass seine Anklage als gültig erklärt wird und hat deshalb Beschwerde beim Bundesgericht eingereicht gegen die ablehnende Haltung der bernischen Vorinstanzen. Gleichzeitig hat das Amt sich auf die Suche nach einer neuen Verfahrensleitung gemacht. Doch den Fall nochmals neu aufzurollen wird Zeit brauchen. Zeit, die vor allem den Beschuldigten hilft im Postauto-Fall.
Denn je länger das Verfahren dauert, desto mehr Tatbestände verjähren. Für potenzielle Delikte, die vor 2014 getätigt wurden, ist es ohnehin schon zu spät, betrug doch die Verjährungsfrist damals noch sieben Jahre. Für Tatbestände nach 2014 hingegen sieht das Verwaltungsstrafrecht eine Frist von zehn Jahren vor.