
Nachdenken über das Böse
Ab nächstem Dienstag wird in der Schweizer Kriminalgeschichte ein wichtiges Kapitel geschrieben. Thomas N., der Vierfachmörder von Rupperswil, steht vor Gericht. Viele von Ihnen werden sich erinnern, wie vollkommen fassungslos Sie waren, als zum Jahresende 2015 immer schrecklichere Details dieses Kapitalverbrechens bekannt wurden. Wie kommt ein junger Mann, der offensichtlich das Zeug hätte, Medizin zu studieren, dazu, vier Menschen auf grausamste Weise zu töten? Der mittlerweile 34-Jährige war ein völlig unbeschriebenes Blatt, der im Dorf bekannt war und Fussball-Junioren trainierte.
Wir versuchen, einen Ansatz zur Erklärung zu finden und merken: Es gelingt uns nicht. Im Raum steht etwas, von dem wir nur vage Vorstellungen haben und trotzdem wissen, dass es existiert: das Böse. Wir blicken auf die Tat von Rupperswil und stellen fest: Das Böse ist keineswegs nur ein Thema für Theologen oder Philosophen, sondern es bricht vollkommen unerwartet mitten unter uns auf. Das Böse ist nicht mehr eine abstrakte Idee, sondern erschütternde Realität, die uns den Boden unter den Füssen wegzieht.
Kant schrieb in einem seiner berühmtesten Sätze, zwei Dinge erfüllten sein Gemüt mit Bewunderung und Ehrfurcht: «der gestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir». Das Böse ist die Kraft, die diese Spannung des menschlichen Geistes zum Einsturz bringen kann. Angesichts des Bösen bleibt nur der Abgrund. Vielleicht gibt es nächste Woche ein paar Antworten, die etwas Licht in die so absolut dunkle Bluttat von Rupperswil bringen. Zu befürchten ist – das haben uns ähnliche Geschichten gelehrt –, dass die Antworten eher ausbleiben.