Naturschutzverein Vordemwald organisierte Wanderung entlang der nördlichen Gemeindegrenzen

Es war so etwas wie ein Geburtstagsgeschenk, als der Naturschutzverein Vordemwald 1991 – zur 700-Jahr-Feier der Eidgenossenschaft – erstmals eine Grenzumwanderung durchführte. Seither hat sich die jeweils in zwei Teilen durchgeführte Wanderung zu einem traditionellen Anlass entwickelt, der rund alle zehn Jahre durchgeführt wird. Am vergangenen Samstag konnte Adrian Wullschleger, Co-Präsident des Naturschutzvereins, bei der Turnhalle rund zwanzig Interessierte zur Wanderung entlang der nördlichen Gemeindegrenzen begrüssen. Mit dem gelernten Landwirt und Forstwart Wullschleger, der heute Leiter des Werkhofs ist, wurde die Gruppe von einem profunden Kenner des Dorfes und seiner Geschichte entlang der nördlichen Gemeindegrenzen zu Brittnau, Strengelbach und Rothrist geführt, bevor der erste Teil der Wanderung – kurz vor dem Erreichen der Grenze zur vierten benachbarten Gemeinde Murgenthal –  ihr Ende fand. Spätestens auf dem Rundgang durch naturnahe Landschaften und Wälder sowie entlang von Bächen wurde allen Wandernden klar, wieso das Dorf Vordemwald mit seiner hohen Wohnqualität wirbt.

Vier Reptilienarten haben sich angesiedelt

Bevor die Gruppe die Gemeindegrenze auf dem Leidenberg erstmals erreichen sollte, legte Adrian Wullschleger einen Zwischenstopp bei der Grube Wilital ein, wo der 2014 errichtete Erlebnisweg vorbeiführt. 2016 wurde an dieser Stelle auch ein wertvolles Biotop geschaffen. Vier Reptilienarten haben sich dank Holzbeigen, Steinhaufen und Steinmauern in den vergangenen fünf Jahren dort etablieren können: Waldeidechsen, Zauneidechsen, Blindschleichen und Ringelnattern. Letztere seien übrigens nicht giftig, gab Wullschleger zur Beruhigung der Anwesenden zu verstehen.

Dann folgte ein kleiner Exkurs zur Beschaffenheit der Böden in Vordemwald. Es gebe drei verschiedene Bodentypen auf dem Gemeindegebiet, zwei davon seien für die landwirtschaftliche Bebauung schlecht geeignet. Es seien nasse, kalte und schwere Böden mit einem hohen Lehmanteil – auch in den Wäldern, führte Wullschleger aus, während sich die fruchtbaren Böden vor allem in den Flussniederungen und an bestimmten Hängen befinden würden.

Die Besiedlung des einst durchgehend bewaldeten Gemeindegebiets von Vordemwald dürfte im 8. bis 10. Jahrhundert begonnen haben, als Rodungsbauern die ersten vier Steckhöfe in Ober- und Nieder-Benzlingen, Chätzingen und Jordingen errichteten. Weitere vier Steckhöfe folgten im Zeitraum des 10. bis 12. Jahrhunderts. Die Streusiedlungen blieben lange eigenständig – als eigentlicher Geburtstag der eigenständigen Gemeinde Vordemwald gilt der 17. August 1803.

Vom einfachen Leben und von engelartigen Gestalten

Auf Benzligen, wo die Gruppe die Gemeindegrenze zu Brittnau erreichte, legte Wullschleger einen poetischen Exkurs ein. Zuerst las er drei Gedichte aus dem Sammelband «Übers Brüggli» von Liny Brüschwiler-Däster vor. Die in Vordemwald aufgewachsene, nach ihrer Heirat in Strengelbach lebende Brüschwiler hielt in einfachen Versen die Vorzüge des Lebens auf dem Lande fest. Auf dem Leidenberg wurde es dann ein wenig unheimlicher, ja sogar tragisch, als Adrian Wullschleger die Sage «Die zwei Kornengel» zum Besten gab. Es ist die Geschichte von zwei Bauernkindern, die beim Blumenpflücken verschwinden und nicht mehr auftauchen, obwohl das ganze Dorf in die Suche eingespannt wird. Erst als das Korn reif wird und der Bauer beim Schneiden ist, vernimmt sein Ohr ein eigenartiges Rauschen, obwohl nicht der leiseste Wind geht. Der Bauer hebt den Kopf und sieht ein Wunder: «Zwei engelartige Gestalten in durchlichteten hellen Gewändern und mit Goldflügelchen schwebten über dem Kornfeld auf und nieder. Und nickten ihm lächelnd zu, und da erkannte er mit freudigem Erschrecken, dass ihre Gesichter denen seiner verschwundenen Lieblinge glichen.» Der Bauer schnitt eine Spur durch das Korn – und als die Lichtgestalten verschwanden, entdeckte er die Leichen seiner beiden Kinder. Im nächsten Sommer und noch viele Jahre danach soll nirgends schöneres Getreide gewachsen sein als auf den Äckern zu Vordemwald – und das allerschönste Getreide sollen jedes Mal die Eltern der «Kornengel» geerntet haben …

Der ehemalige Karpfenweiher im Däntsch

Dann führte die Reise weiter durch den kühlenden Wald im Geissbach hinunter an die Zofingerstrasse im Däntsch oder Weierdäntsch. Auch dort wusste Wullschleger – mit Verweis auf die auf Strengelbacher Boden liegende Senke – Interessantes zu erzählen. Diese sei von den Mönchen des Klosters St. Urban als Karpfenteich genutzt worden, den man  1458 in Auftrag gegeben und erst 1637 wieder aufgehoben habe. Dabei sei der Anfang der heutigen Moorenhubelstrasse als Damm für den Teich aufgeschüttet worden. Sinnigerweise bedeute das Wort «däntschen» denn auch nichts anders als «lehmiges Material breit klopfen oder streichen».

Auf den Spuren des Meisterdiebs Bernhart Matter

Vom Weierdäntsch führte die Wanderung und damit der Grenzverlauf nach einem kurzen Waldstück wechselweise der Pfaffnern und dem Waldrand des Ramooswalds entlang Richtung Rothrist. Im Gländ wurde man «Zeuge» eines vor langer Zeit erfolgten Diebstahls des Meisterdiebs Bernhart Matter, der am 24. Mai 1854 in Lenzburg enthauptet wurde. Zusammen mit seinem Kumpanen Kaspar Lüscher trieb er in der Nach vom 13. auf den 14. September 1850 sein Unwesen auch in Vordemwald. Die beiden entwendeten im Haus von Lüschers Schwiegervater Hans Jakob Woodtli eine wertvolle Uhr und verpflegten sich anschliessend bei einem Einbruch im Nachbarshaus. Die Uhr wird schon bald in Matters Haus gefunden, Matter aber ist bereits geflohen, bevor die Polizei eintrifft…

Am Rothrister Moosweg erreichte die Gruppe schliesslich den nördlichsten Punkt des Gemeindegebiets. Von dort führte die Wanderung zurück durch den Wald zu dem vom Rothrister Heimatverein beschrifteten Grenzstein im Scharfen Ecken. Dort konnte man schliesslich noch ein Stück im Grenzgraben Richtung Riken weitergehen, bevor auf der Höhe des Strengelbacher Waldhauses der Rückweg Richtung Jägerhütte und schliesslich Richtung Dorf angetreten wurde.

So nahm eine abwechslungsreiche und vielfältige Erlebniswanderung ihr Ende. Der zweite Teil der Grenzumwanderung – entlang der südlichen Gemeindegrenzen von Vordemwald – findet am 18. September statt.