«Nein heisst Nein»: Influencerin Morena Diaz kämpft für neues Sexualstrafrecht

Die Sonne steht tief. Das Meer erstreckt sich dem Horizont entlang. Morena Diaz blickt seitlich in die Kamera, lächelt leicht. Sie trägt einen altrosafarbenen Bikini. Es könnte ein gewöhnliches Ferienfoto sein. Es könnte eines derjenigen Bilder sein, für die sie vor drei Jahren öffentlich kritisiert wurde. Es könnte eines sein, auf dem sie für ein gesundes Körperbild plädiert. Das Foto ist ihr Wendepunkt. Von der Body-Positivity-Bloggerin zur Stimme, die auf eine grosse Ungerechtigkeit im Schweizer Rechtssystem hinweisen will. Die für Frauen sprechen möchte, denen Ähnliches widerfahren ist, wie ihr.

Morena Diaz ist Influencerin – und zwar eine der ersten Stunde. Seit Anfang 2021 lebt sie in Basel. Vor rund zehn Jahren startete sie ihren Account auf der sozialen Plattform Instagram. Dort, wo Bilder Geschichten erzählen sollen, wo Äusserlichkeiten meist mehr zählen als Worte. Mit Bildern und passenden Unterschriften zeigt Diaz ihren Followerinnen und Followern, dass Haare am Körper, unreine Haut und ein runder Bauch normal sind. Sie zeigt sich beim Pizzaessen, im Bikini am Strand oder beim Salsatanzen in der Küche.

Wie ein Post ihren Auftritt veränderte

Das Foto im altrosafarbenen Bikini am Strand von Malaga ist aber ein besonderes. Das liegt weniger am Abgebildeten und als an den Zeilen darunter, die sie am 2. Januar 2020 postete. «Drei Tage vor Heiligabend hat er nach einem gemeinsamen Abendessen über meinen Körper, mein Herz und meine Bedürfnisse hinweg entschieden. Mit keiner Faser meines Körpers wollte ich das, was er mir angetan hat, und mit keiner Faser meines Körpers konnte ich mich wehren.»

Diaz wurde ein Jahr zuvor vergewaltigt. Sie kannte den Täter, er war ein guter Bekannter, der sie an diesem Abend zu sich nach Hause zum Abendessen und Filmschauen eingeladen hatte. Nichts Ungewöhnliches. Als der Freund ihr aber näher kommen wollte, wehrte sie ab.

«Ich habe mehrmals Nein gesagt», erzählt Diaz mehr als zwei Jahre nach dem Vorfall. Der Bekannte hörte nicht auf. Im Moment der Vergewaltigung habe Diaz eine Schockstarre erlitten. Erst einige Monate später entschied sie sich dazu, den Mann anzuzeigen.

Derzeit wartet Diaz darauf, dass der Gerichtstermin festgelegt wird. Zwei Vernehmungen über mehrere Stunden – eine durch die Polizei, eine durch die Staatsanwaltschaft – hat sie hinter sich. Aufgrund ihres Berufs als Influencerin wurde ihr gar die Frage gestellt, wie viele Follower sie vor der Bekanntmachung ihrer Vergewaltigung hatte und wie viele danach.

Diaz‘ Fall wird in der Kategorie der «sexuellen Nötigung» behandelt. Ein Blick ins Schweizer Sexualstrafrecht erklärt, warum man nicht von einer Vergewaltigung spricht – zumindest im juristischen Sinn.

Aus dem Schweizerischen Strafgesetzbuch

Vergewaltigung: Wer eine Frau zum Sex nötigt, indem er sie bedroht oder physische sowie psychische Gewalt anwendet, kann mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bis hin zu zehn Jahren bestraft werden. Die Vergewaltigung eines Mannes sowie die anale oder orale Penetration gegen den Willen der Person zählen nicht zu diesem Straftatbestand.

Sexuelle Nötigung: Wer eine Person zu einer sexuellen Handlung nötigt, indem er sie bedroht, Gewalt anwendet, sie unter psychischen Druck setzt oder zum Wider­stand unfähig macht, kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft werden.

Sexuelle Belästigung: Wer vor jemandem eine sexuelle Handlung vornimmt und wer jemanden tätlich oder in grober Weise durch Worte sexuell be­lästigt, kann – auf Antrag – mit einer Busse bestraft werden.

Den Gang an die Öffentlichkeit hat Morena Diaz nie bereut. «Ich wünsche mir eine Veränderung», sagt die 28-Jährige. Deshalb habe sie sich zu diesem Schritt entschieden. Natürlich sei es um Aufmerksamkeit gegangen. Nicht umsonst teilte sie ihre Geschichte mit fast 70’000 Followerinnen und Followern. Diaz stellt klar: «Es geht um Aufmerksamkeit für die Sache dahinter und nicht für mich.»

Aus diesem Grund ist sie am vergangenen Dienstagabend auch auf dem Basler Marktplatz. Sie will sich solidarisch zeigen mit allen Frauen und Männern, die sexualisierte Gewalt erlebt haben. Diaz steht aber auch als Influencerin mit grosser Reichweite in der Menge der friedlichen Demonstration. Immer wieder zückt sie ihr Handy, filmt eine Szene, drückt auf Senden. Die Ausschnitte landen in ihren Instagram-Storys, über die sie täglich Tausende Menschen unterhält.

«Was ist, wenn man den Täter kennt?»

Während der Reden und der künstlerischen Darstellung eines Gerichtsprozesses mitten in Basel hört Diaz aufmerksam zu. Eine junge Frau fragt ins Mikrofon: «Was ist, wenn man den Täter kennt? Wenn ‹Halt, stopp› nicht zählt?» Morena Diaz nickt zustimmend, applaudiert. «Das ist so bestärkend», sagt sie, während sie sich umblickt. Rund 200 Frauen stehen an diesem Abend bei windigem Wetter füreinander auf der Strasse.

Diaz weiss, wie unangenehm und triggernd die Fragen sein können. Dabei war sie sich die Öffentlichkeit bereits gewohnt. Mitte 2016 wurden die Medien erstmals aufmerksam auf die junge Aargauerin, die über ihre Essstörung spricht und Informationsveranstaltungen an Schulen abhält. Anfang 2017 ging der Rummel dann richtig los: Der «Social-Media-Star», die «Kurven-Bloggerin», die gleichzeitig auch Primarlehrerin ist. Nach Kritik durch den Lehrerverband und Unterstützung von der eigenen Schule publiziert Diaz 2018 ihr Buch, wird für den «Prix Courage 2018» nominiert und setzt sich weiterhin für ein normales Verhältnis zum eigenen Körper ein.

Dass der Post zu ihrer Vergewaltigung erneut für Rummel sorgen wird, damit rechnete Morena Diaz. Besonders berührt hätten sie Frauen und Männer, die sich in privaten Nachrichten an sie wendeten: «Einige erzählten mir, dass sie erst durch meine Geschichte begriffen hätten, dass sie ebenfalls Opfer eines Übergriffs geworden waren.» Genau diesen Menschen möchte Diaz eine Stimme geben.

Rund 200 Personen versammelten sich auf dem Marktplatz in Basel. (Bild: Kenneth Nars)
Rund 200 Personen versammelten sich auf dem Marktplatz in Basel. (Bild: Kenneth Nars)