
Neoscope 2019: Der auseinandergefaltete Raum


Öffnungszeiten:
Donnerstag, 18 bis 21 Uhr, Samstag und Sonntag, jeweils 11 bis 17 Uhr.
Weitere Informationen: www.kunsthauszofingen.ch
«Für die Schublade» sind sie nicht, die drei Ausstellungen, die sich seit 2017 mit dem einzigartigen Gesellschaftsexperiment Zofiscope 1974 mit über 1000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern auseinandergesetzt haben. Vielmehr haben sie dank konkreter Bezüge zur Zofinger Geschichte und Gegenwart sehr nahbare Kunstwerke geschaffen. Das Schubladen-Werk von Geraldine Honauer im Erdgeschoss lässt sich durchaus programmatisch verstehen. Während sie Schubladen öffnet und zu einer Gedächtnisskulptur formt, steigt Neoscope ins Zofiscope-Archiv hinein und schafft in deren Geist vielfältige Kunstformen voller Witz und Querbezüge. Ganz auf den Dialog ausgerichtet, verrichtet Neoscope wie auch Zofiscope engagierte Arbeit an der Gesellschaft.
Niklaus Thuts Musik der Gedärme
Vor Jahresfrist haben die Künstler Daniel Bracher und Andi Hofmann das Publikum auf eine ebenso gespenstische wie poetische Filmachterbahnfahrt durch die Speiseröhre Niklaus Thuts mitgenommen. «InsightTHUT» 2018 hat den Mythos um den fähnlifressenden Stadtpatron humoristisch dekonstruiert. Die 100 Wetterballone, die als Projektionsflächen für die Live-Vorführung des Films dienten, wurden im Anschluss an das Publikum verschenkt. Geblieben ist der dazu live mit Sitar und elektronischer Musik eingespielte Thut-Marsch. Das Stück «Battle» ist inzwischen auf Vinyl gepresst, auf der B-Seite hat der Geiger Tobias Preisig, «Brace», seine eigene Version des Marsches verewigt. Die Auflage ist auf 50 Langspielplatten beschränkt. Die Plattenhüllen hat Daniel Bracher zu einem rechteckigen Bildträger angeordnet und grossflächig mit ausdrucksstarker Street Art bemalt. Aus diesem Mosaik lassen sich einzelne Platten herauskaufen. Allerdings verpflichten sich die Käufer, diese gut zu konservieren, damit das Gemälde im Jahr 2119 wieder zusammengesetzt werden kann. Wer eine Platte ersteht, macht sich zum Teilhaber und Hüter einer Idee von Einheit, deren Zauber man sich schwer entziehen kann.
Ineinander verwobene Erinnerungen
Als partizipative Arbeiten sind die Living Fabrics der Performerin Nesa Gschwend angelegt. Sie lädt die Menschen dazu ein, Stoffstücke aus dem eigenen Fundus mitzubringen, zu zerschneiden, zu tauschen und schliesslich auf Teppichbahnen aufzunähen. Obwohl bei dieser konzentrierten Erinnerungsarbeit der Arbeitsprozess im Zentrum steht, lassen sich die Resultate sehen. Es sind berückend schöne und bunte Gewebe entstanden, die individuelles und kollektives Gedächtnis ineinanderfliessen lassen und so ganze Völker und Kulturen miteinander verbinden. Zu sehen sind jene Bahnen, die letztes Jahr in Zofingen begonnen wurden und schliesslich von Frauen in Indien, Österreich und Georgien vollendet worden sind.
Die vier Zofiscope-Filme «Der letzte Fischer», «Metzgerei», «Altenheim» und «Aarburg» zeigen im Erdgeschoss ein humorvolles Selbstverständnis der 1970er Jahre rund um Zofiscope. Dem gesellen Andi Hofmann und Pino-Max Wegmüller drei aktuelle Porträts hinzu. Besonders spannend ist das visuell farbenprächtige Porträt des in Zofingen ansässigen Bierbrauers Claude Degen. Hofmann taucht dabei in die farbenprächtig perlenden Mikrostrukturen des Biers hinein. Er macht damit augenfällig, weshalb Degen seine Arbeit mit den rund 1000 Inhaltsstoffen des Biers als einen alchemistischen Prozess hin zur Perfektion versteht.
Neoscope 19 würde seinem Namen nicht gerecht, wenn die Ausstellung nicht auch viel Interaktion beinhalten würde. So zeichnet der Zofinger Ron Dideldum während der Ausstellung täglich Skizzen, die dann am Ende der Ausstellung verkauft werden. Wer Lust hat, kann ein Kleidungsstück mit der Schriftzug «Souvenir» besticken lassen und sich so eine Erinnerung an den Geist von Zofiscope und Neoscope in den Alltag hinüberretten.
Mit in diesem Dialogkontext hinein gehört auch das interaktive Stadttelefon der Gebrüder Riklin. Wer will, kann unter der Nummer 0901 62 4800 einen analogen Apparat bei der Markthalle anrufen, der dann bei der Markthalle in die Altstadt-Öffentlichkeit hinausschellt. Wer weiss, vielleicht ergibt sich ein unverhofft spannendes Gespräch mit einem Altstadtpassanten.
Teil der Gespräche durch die VR-Brille
Roger Wirz und Thomas Hüsler schliessen im Obergeschoss des Kunsthauses den Kreis von Neoscope und laden zu einer abschliessenden Reflexion ein. Wer den Raum betritt, hat den Eindruck, dieser habe sich in die Tiefe ausgedehnt. Auf die Stirnseite des Raumes projizieren die beiden einen in ebendiesem Raum aufgenommenen Film, der Akteure von Zofiscope und Neoscope im angeregten Gespräch zeigt. Wer sich die von der Decke hängende VR-Brille aufsetzt, wird wenigstens visuell Teil dieser Gespräche. Via Tonspur auf dem Kopfhörer lässt sich das Gemurmel nicht durchdringen, vielmehr geht es darum, die eigenen Gedanken noch einmal fliessen zu lassen. Ganz im Sinne von Zofiscope weicht «Der dritte Ort» die Grenzen zwischen Kunst und Betrachtung neckisch auf und macht einen zum schöpferischen Teilhaber.
Die öffentliche Vernissage zu Neoscope 19 findet diesen Samstag um 19 Uhr im Kunsthaus statt. Zur Plattentaufe «Battle & Brace» spielt der Violinist Tobias Preisig live.
