
Neue Studie zeigt: In der Schweiz werden über eine halbe Million Joints geraucht – und zwar pro Tag
Die Cannabis-Politik ist in der Sackgasse
Kommentar von Maja Briner/AZ
Trotz Verbot wird in der Schweiz viel Cannabis konsumiert. Das ist keine befriedigende Situation.
Die Zahlen sind eindrücklich: Eine halbe Million Joints werden täglich in der Schweiz geraucht, fast eine halbe Milliarde Franken wird pro Jahr mit Cannabis umgesetzt. Der Stoff, obwohl illegal, ist weit verbreitet. In Umfragen geben drei bis vier Prozent der Befragten an, im letzten Monat gekifft zu haben. Vor allem unter 35-Jährige konsumieren Cannabis; am höchsten ist der Anteil bei den 15- bis 19-Jährigen. Selbst Jugendliche kommen offensichtlich ohne grössere Probleme zu ihrem Joint.
Die heutige Verbotspolitik hat daher etwas Heuchlerisches. Sie beschert Polizei und Justiz Arbeit, trotzdem wird Cannabis rege konsumiert. Die Kiffer decken sich auf dem Schwarzmarkt mit Marihuana und Haschisch ein; kriminelle Banden verdienen damit Millionen. Das ist keine befriedigende Situation. Die Cannabispolitik ist in einer Sackgasse. Es wäre deshalb wichtig, dass der Bund die gesetzlichen Grundlagen für einen Experimentierartikel schaffen kann. Noch fehlt das Ja des Ständerats. Zahlreiche Städte bekämen so die Möglichkeit, Pilotprojekte für eine kontrollierte Cannabisabgabe durchzuführen. Natürlich streng reglementiert und wissenschaftlich begleitet.
Diese Pilotprojekte könnten der Schweizer Cannabispolitik dringend benötigte Impulse verleihen und neue Grundlagen für die Diskussion liefern. Denn eines ist klar: Weiter wie bisher ist keine Option. Gleichzeitig darf der Cannabiskonsum aber auch nicht verharmlost werden.
Es ist illegal, doch Zehntausende greifen dennoch regelmässig zum Joint: Cannabis ist die beliebteste illegale Droge. Forscher von der Stiftung Sucht Schweiz, der Uni Lausanne und von Unisanté haben nun den Cannabis-Markt im Kanton Waadt unter die Lupe genommen. Die Studie, die heute veröffentlicht wird, liefert Hinweise darauf, dass mehr Personen kiffen als bisher angenommen.
In Umfragen geben jeweils rund drei bis vier Prozent an, im letzten Monat Cannabis konsumiert zu haben. Eine Analyse des Abwassers ergibt jedoch einen höheren Wert, wie die Forschenden herausgefunden haben. Frank Zobel ist Vizedirektor von Sucht Schweiz und Mitautor der Studie. Er schätzt, dass um die fünf bis sechs Prozent mindestens einmal pro Monat zum Joint greift.
«Es scheint auch, dass der Konsum steigt – aber nur langsam», sagt er. Die Menge ist hingegen geringer als gedacht: Für die Waadt schätzt die Studie, dass jährlich 3,5 bis 5,1 Tonnen Cannabis konsumiert werden. Das entspreche mehr als 50000 Joints pro Tag. Auf die Schweiz hochgerechnet sind es mindestens eine halbe Million Joints pro Tag beziehungsweise 40 bis 60 Tonnen jährlich. Das ist laut den Studienautoren weniger als bisher angenommen.
Die Lotterie mit dem THC-Gehalt
Viele greifen nur gelegentlich, etwa am Wochenende, zum Joint. In der Waadt kifft laut Studie weniger als ein Prozent der Bevölkerung intensiv. Auf ihr Konto geht indes die Hälfte des Cannabis-Konsums. Hochgerechnet für die ganze Schweiz sind es laut Zobel 50000 bis 80000 «stark Konsumierende». «Bei dieser Gruppe sind die Risiken am grössten», sagt Zobel. «Sie haben öfters gesundheitliche oder psychische Probleme, schaffen wegen des Konsums etwa die Lehre nicht oder schwänzen die Schule.»
Die Studie hat auch untersucht, woher das Cannabis stammt. Zum Teil wird es in der Schweiz produziert, zum Teil importiert, etwa aus Albanien, der Niederlande, Spanien und Marokko. Die Studienautoren schätzen, dass der Cannabis-Markt jährlich etwa 220 bis 325 Millionen Franken abwirft. Dabei ist die Palette der Akteure breit: Vom Kiffer, der für sich ein paar Pflanzen anbaut, bis hin zu kriminellen internationalen Organisationen.
Sehr unterschiedlich ist auch der Gehalt an THC – jener Substanz also, die für die berauschende Wirkung verantwortlich ist. Zobel sagt: «Es ist eine Lotterie: Der Konsument weiss oft nicht, was er bekommt.» Besonders gefährlich sei dies für jene, die sich Cannabis nicht gewohnt seien.
Auf dem politischen Parkett wird seit Jahrzehnten über Cannabis gestritten. In letzter Zeit mehrten sich die Stimmen, die sich für eine Regulierung aussprechen. Die Eidgenössische Kommission für Suchtfragen etwa forderte, dass Cannabis-Konsum nicht mehr bestraft und der Markt reguliert wird.
Der Bundesrat geht nicht so weit. Er will aber Pilotversuche zur kontrollierten Abgabe von Cannabis erlauben. Der Nationalrat hat diesem Experimentierartikel im Dezember knapp zugestimmt; der Ständerat muss noch darüber entscheiden. Die Gegner warnen, mit den Pilotversuchen werde das Kiffen verharmlost; das Psychose- und Schizophrenierisiko sei vor allem bei jungen Menschen zu gross, der Jugendschutz nicht gewährleistet. Die Befürworter wiederum sagen, es sei nötig, neue Wege zu prüfen.
Auch die Stiftung Sucht Schweiz, die sich der Prävention und Forschung verschrieben hat, ist der Ansicht, dass es so nicht mehr weitergehen kann. «Die Prohibition funktioniert nicht», sagt Frank Zobel. «Wenn Cannabis legal, aber strikt reguliert wäre, hätte man mehr Instrumente in der Hand, um den Markt zu kontrollieren und gezielter gefährdete Personen zu schützen.»
Sucht Schweiz ist daher für einen Systemwechsel – aber nur unter gewissen Bedingungen: kein Verkauf an Minderjährige, keine Werbung, Verkauf nur in spezialisierten Shops und eine Besteuerung der Produkte, um sie zu verteuern.
Auch eine Initiative zur Legalisierung ist erneut angekündigt. Ein Verein namens Cannabis Consensus Schweiz will eine breite Koalition von Experten, Politikern und Hanfbauern schmieden. Sie berufen sich dabei auch auf Suchtexperten. Sucht Schweiz ist bis aber nicht dabei. «Es ist für uns schwierig, mit der Industrie zusammenzuarbeiten», begründet Zobel.
Es wäre indes nicht das erste Mal, dass die Schweiz über eine Legalisierung abstimmt: 2008 hat das Stimmvolk die Hanf-Initiative deutlich abgelehnt.