Neue Studie zeigt: Lehrer arbeiten eigentlich 46 Stunden pro Woche – was der Lehrerverband jetzt fordert

Das Klischee der Lehrer, die ihre vielen Ferienwochen geniessen und wenig arbeiten, hält sich hartnäckig – aber es ist falsch. Das zeigt eine neue Erhebung, die der Lehrerverband LCH und sein Westschweizer Pendant SER heute vorgestellt haben.

Die fünf wichtigsten Erkenntnisse aus der Erhebung:

1. Eine 46-Stunden-Woche

In der Deutschschweiz müssen Lehrer und Lehrerinnen eigentlich pro Jahr 1916 Stunden arbeiten. Diese Referenzarbeitszeit geben die Kantone für ein Vollzeitpensum vor. Tatsächlich sind es laut der Erhebung aber 2164 Stunden, welche die Lehrpersonen jährlich leisten. Das sind 248 Überstunden. Auf die Woche heruntergerechnet heisst dies: Angenommen, die Lehrer und Lehrerinnen machen fünf Wochen Ferien pro Jahr, arbeiten sie im Schnitt 46 Stunden wöchentlich.

Der Präsident des Lehrerverbands, Beat W. Zemp, kritisiert: «Schweizer Lehrpersonen haben die höchsten Sollarbeitszeiten aller OECD-Länder und leisten zudem unbezahlte Überstunden in dreistelliger Millionenhöhe.»

2. Früher war es schlimmer

Eine gute Nachricht gibt es indes: Im Vergleich zu 2009 hat sich die Situation verbessert. Damals lag die Jahresarbeitszeit bei Vollzeitlehr-Personen noch bei 2331 Stunden, 167 Stunden mehr als heute. Auf allen Stufen ausser beim Kindergarten seien die Arbeitszeiten zurückgegangen, sagt Sozialforscherin Martina Brägger sagt, die die Studien durchgeführt hat.

«Die Gratisarbeit ist um 40 Prozent zurückgegangen», sagt Zemp. Das sei erfreulich. Der Druck des Lehrerverbands habe Wirkung gezeigt. Allerdings: Trotz der Reduktion stünden Anforderungen und zeitliche Ressourcen in der Deutschschweiz noch nicht in Balance.

Hinzu kommt: Die Belastung im Unterricht hat laut Zemp in den letzten 15 Jahren zugenommen. Erziehungsaufgaben würden an die Lehrpersonen delegiert, hinzu kämen eine Vielzahl von Reformen und Ansprüchen der Lernenden und Eltern gegenüber den Lehrern. Zemp verwies auf Studien, wonach ein Drittel der Lehrer Burn-out-gefährdet sei. «Eine Stunde Unterricht ist nicht gleich eine Stunde Büroarbeit», sagt Beat A. Schwendimann, Leiter Pädagogische Arbeitsstelle des LCH.

3. Lehrer mit Teilzeit-Pensen trifft es besonders

Wegen der hohen Belastung reduzieren laut Lehrerverband manche Lehrer und Lehrerinnen ihr Pensum. Inzwischen arbeiten nur noch drei von zehn Lehrer Vollzeit, wie Sozialforscherin Brägger sagt. Die Krux dabei: Gerade Lehrer in Teilzeitpensen trifft es besonders. «Die hohen Überstunden fallen vor allem bei Teilzeitpensen an», sagt Brägger.

Laut der Erhebung wird bei einem 50-Prozent-Pensum die Soll-Arbeitszeit um 22 bis 25 Prozent überschritten. Bei einem Vollzeitpensum sind es hingegen nur zwei bis drei Prozent. Zemp sagt: «Dieser Teilzeit-Trend muss unbedingt gestoppt werden – gerade auch angesichts der steigenden Schülerzahlen.»

4. In der Romandie arbeiten die Lehrer weniger

In der Westschweiz sieht es für Lehrer und Lehrerinnen etwas besser aus. Zwar leisten auch sie Überstunden, im Vergleich zur Deutschschweiz fallen diese aber deutlich geringer aus: Westschweizer Lehrer arbeiten im Schnitt 1892 Stunden statt der vorgeschriebenen 1853. Brägger führt für den Röstigraben verschiedene Gründe an: Unter anderem sei in der Westschweiz die Pflichtlektionenzahl auf der Sekunderstufe tiefer, und es fielen weniger Zusatzaufgaben an.

5. Das fordert der Lehrerverband

Der Lehrerverband appelliert an die Politik, die Bedingungen für die Lehrer und Lehrerinnen zu verbessern. Lehrerpräsident Zemp sagt: «Die Bildungspolitik muss dafür sorgen, dass der Berufsauftrag für Lehrpersonen mit den verfügbaren zeitlichen Ressourcen leistbar ist.»

Die unbezahlte Überzeit muss verschwinden, verlangt der LCH. Es brauche endlich eine Senkung der Lektionenzahl. «Das 100-Prozent-Pensum ist unter den heutigen Rahmenbedingungen kaum zu leisten», sagt LCH-Zentralsekretärin Franziska Peterhans. Zudem brauche es unbedingt mehr Ressourcen für die Klassenleitung und mehr Zeit für Elternarbeit.

LCH-Präsident Zemp sagt: «Klischeevorstellungen wie die Mär von zwölf Wochen Ferien sind nur schwer zu ändern. Über den Witz ‹Lehrer haben vormittags recht und nachmittags frei› kann man heute aber nicht mehr lachen angesichts der zunehmenden Belastung in diesem Beruf.»