Neuer GLP-Präsident: «Die Umwelt ist die Basis für alles und hat nichts mit dem links-rechts-Schema zu tun»

Einstimmig wurde Philippe Kühni von den GLPlern zu ihrem neuen Präsidenten gewählt. (Baden, 3. September 2021). Bild: Alex Spichale
Einstimmig wurde Philippe Kühni von den GLPlern zu ihrem neuen Präsidenten gewählt. (Baden, 3. September 2021). Bild: Alex Spichale

 

Der Aargau ist aber kein besonderer Wind- oder Wasserkraftkanton. Wie kann er zur Stromsicherheit beitragen?

Man darf nicht auf einen einzelnen Energieträger setzen, es braucht ein robustes System, diese sind immer divers. Auch der Austausch wird enorm wichtig sein, auch darum bedauere ich, dass wir noch kein Abkommen mit Europa haben. Wir müssen uns bewusst sein, dass aktuell eine komplette Umwälzung der Energielandschaft stattfindet, wie wir sie zuletzt bei der Elektrifizierung vor über 100 Jahren hatten. Daraus ist damals die ABB entstanden. Und auch heute ist der Aargau technologisch vorne mit dabei. Jetzt braucht es das politische Signal, um diese Chancen zu nutzen.

Ein solches gab es letzte Woche, als der Grosse Rat, mit Beteiligung der GLP, die Umweltkommission mit der Ausarbeitung eines Klima-Artikels in der Verfassung beauftragt hat. Was bringt ein solcher Verfassungs-Artikel?

Der Klimaschutz würde damit zum klaren Auftrag im Gesetzgebungsprozess. Angesichts der Wichtigkeit des Themas ist das nötig, wir können in der Klimapolitik nicht einfach so weitermachen wie bisher.

Stimmt der Grosse Rat zu, kommt der Klima-Artikel vors Volk. Dort hatten es zuletzt die Umweltvorlagen schwer, gerade im Aargau. Ist der grosse Hype um den Klimaschutz schon vorbei?

Nein! Und dass diese Vorlagen abgelehnt werden, zeigt ja, dass es uns und unsere Politik braucht. Ausserdem hat Corona dem Umweltschutz noch Schub verliehen. Die Leute haben gemerkt, wie schön ein Himmel ohne Kondensstreifen ist, sie geniessen die Zeit in der Natur und die Bioläden werden überrannt. Doch auch in der Wirtschaft ist vieles im Wandel, insbesondere durch die Digitalisierung. Hier mischt die GLP ebenfalls ganz vorne mit.

Umweltschutz ist nicht nur Klimaschutz. Wo sonst muss der Aargau ansetzen?

Zentral ist der Erhalt der Biodiversität, inklusive Kampf gegen das Insektensterben. Ich habe mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, dass der Kanton in diesem Jahr Akzente bei der Neophytenbekämpfung setzt. Hier hat man lange zugewartet, dabei ist es mit den invasiven Arten wie mit dem Coronavirus: Das Wachstum ist exponentiell.

Feier der GLP Aargau während der Nationalratswahlen in Aarau: Wahlkampfleiter Philippe Kühni (l.) und Nationalrat Beat Flach im Gespräch (20. Oktober 2020). Bild: Andre Albrecht
Feier der GLP Aargau während der Nationalratswahlen in Aarau: Wahlkampfleiter Philippe Kühni (l.) und Nationalrat Beat Flach im Gespräch (20. Oktober 2020). Bild: Andre Albrecht

 

Bei den Grossratswahlen 2020 gab es den bisher grössten Erfolg für die Aargauer GLP, sie vergrösserte die Fraktion um 6 auf 13 Sitze. Geht das 2024 so weiter?

Unser Ziel ist natürlich, mindestens die jetzigen Sitze zu halten, wenn möglich sogar auszubauen. Dafür tun wir alles, ob es aber klappt, ist Kaffeesatzlesen.

Bis jetzt nicht geklappt hat der Einzug in den Regierungsrat. Bei der Ersatzwahl 2019 ist die GLP mit ihrer Kandidatin Doris Aebi, der Frau Ihres Vaters, gescheitert. Warum hat man auf eine Quereinsteigerin gesetzt?

Doris Aebi trat zwar politisch im Aargau vorher nicht in Erscheinung, eine Quereinsteigerin ist sie aber nicht. Sie sass für die SP acht Jahre im Solothurner Kantonsrat und war vor ihrer Kandidatur lange Sympathisantin der GLP. Wir sind nach wie vor der Überzeugung, dass sie eine valable Kandidatin ist. Die Konstellation mit der Einervakanz nach dem Rücktritt von Regierungsrätin Franziska Roth war aber schwierig. Weil wir eine politisch erfahrene Frau aus der Wirtschaft hatten, haben wir dies vielleicht zu optimistisch eingeschätzt.

Hat die GLP darum bei den Gesamterneuerungswahlen des Regierungsrats ein Jahr später auf eine Kandidatur verzichtet?

Wir wären bei einer Zweiervakanz angetreten, höchstwahrscheinlich wieder mit Doris Aebi. Weil aber nur der SP-Sitz von Urs Hofmann frei geworden ist, war für uns eine erneute Kandidatur keine Option.

Kann man damit rechnen, dass Doris Aebi als GLP-Spitzenkandidatin künftig wieder in Erscheinung treten wird?

Sie ist bei uns nach wie vor aktiv, ob sie wieder einmal für ein politisches Amt kandidiert, wird sich zeigen.

Der aktive Politiker: Philippe Kühni an der ersten Sitzung des neuen Kreisschulrats Aarau-Buchs (Buchs, 23. Oktober 2017). Bild: Severin Bigler
Der aktive Politiker: Philippe Kühni an der ersten Sitzung des neuen Kreisschulrats Aarau-Buchs (Buchs, 23. Oktober 2017). Bild: Severin Bigler

 

Die Kantonalpräsidenten von SVP, SP und Die Mitte sitzen im Nationalrat, jene von FDP, Grünen und EVP im Grossen Rat. Was qualifiziert Sie zum Präsidenten?

Zuerst qualifiziert mich, dass mich die Basis in dieses Amt gewählt und offenbar das Vertrauen hat, dass ich der Richtige dafür bin. Als Wahlkampfleiter kenne ich die Partei bestens und ich stehe in regelmässigem Austausch mit unseren Grossrätinnen und Grossräten.

Ich bin nahe an der kantonalen Politik und, als persönlicher Mitarbeiter unseres Nationalrats Beat Flach, auch an der nationalen. Das ist kein Problem. Ich frage mich eher, wie jemand, der vor allem im Nationalrat politisiert, den Überblick über seine Kantonalpartei und deren Themen behalten kann.

Ist der Grosse Rat Ihr Ziel?

Ich trete zuerst bei den Einwohnerratswahlen im November in Aarau an. Aber natürlich werde ich auch bei den nächsten Grossratswahlen kandidieren. Schliesslich bin ich Politiker und habe Lust, dort mitzureden.

Bekommt die GLP mit Ihnen als Präsidenten ein neues Gesicht?

Mein primäres Gestaltungs-Instrument als Präsident ist der Auftritt der Partei nach Aussen und nach Innen. Und ja, das beabsichtige ich auch zu nutzen. Aber eine Partei kann sich nie nur auf eine Person abstützen.

Wird man also von der Aargauer GLP in Zukunft eher mehr hören?

Ich hoffe es, ja.

Sie selber kommen aus einer FDP-Familie, warum haben Sie nicht diese Partei für sich ausgesucht?

Mein Vater war FDP-Ortsparteipräsident in Schöftland und vertrat innerhalb der Partei stets eine liberale und fortschrittliche Linie. Für mich kam bei der FDP der Umweltschutz immer zu kurz. Gerade im Aargau ist die FDP konservativer als andernorts. Da fühlte ich mich nicht daheim. Die GLP ist zukunftsorientiert und will gestalten. Und das will ich auch.

Zur Person: Philippe Kühni

Philippe Kühni ist seit dem 3. September Präsident der GLP Aargau. Der 39-Jährige wohnt mit seiner Partnerin, der 13-jährigen Tochter und dem 6-jährigen Sohn in Aarau. Hier hat er auch die Kantonsschule besucht, aufgewachsen ist er in Schöftland. Kühni war Wahlkampfleiter der GLP 2019 und 2020, er ist Präsident der Bezirkspartei Aarau und er sitzt im Kreisschulrat Aarau-Buchs. Seit Mai ist Kühni Geschäftsführer der Firma Heatconnect. (eva)

Wir treffen Philippe Kühni im Garten seines Einfamilienhauses in Aarau. Dass hier ein Umweltbewusster wohnt, sieht man nicht nur an der Vielfalt an Blumen, am Bienenhotel oder wegen dem solar-angetriebenen Rasenmäher. «Hier wurde vorbildlich saniert, danke!» heisst es auf einem Plakat an der Fassade. Es ist der Klimapreis, den die Stadt Aarau Kühni 2020 für die umfassende energetische Sanierung seines Hauses verliehen hat. Mit Anreizen den Klimaschutz vorantreiben, das ist auch Kühnis politischer Ansatz. Doch die GLP stehe für mehr als Umweltpolitik.

Die GLP forderte per Fraktionserklärung vom Regierungsrat verbindlichere Vorgaben zum Umgang mit Corona. Bisher hielt sich die Partei diesbezüglich zurück, warum interessiert sie plötzlich die Corona-Politik?

Philippe Kühni: Wir waren immer interessiert, haben uns aber nach Aussen zurückgehalten. Als Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati im Sommer das Contact Tracing abgebaut hat, haben wir ihn darum gebeten, dieses trotzdem jederzeit sicherzustellen. Das ist ihm nicht gelungen, obwohl es sein Job wäre.

Deshalb haben wir den Regierungsrat jetzt öffentlich zum Handeln aufgefordert. Grundsätzlich ist die Coronakrise die Zeit der Exekutivpolitiker, weil schnelle Entscheide nötig sind. Parlamentarierinnen und Parlamentarier können zwar ihren Senf dazu geben, aber wenig ausrichten.

Wie zufrieden ist die GLP mit der Regierung bei Corona insgesamt?

Dem Bundesrat hat man oft unrecht getan. Er hat aber fast alles richtig gemacht, wenn man sich die Situation zum jeweiligen Entscheidungszeitpunkt vor Augen führt. Das gilt auch für den Regierungsrat. Enttäuschend fand ich einzig, dass der Gesundheitsdirektor bis zu seiner Wiederwahl im Oktober gewartet hat, um Pflöcke einzuschlagen. Seither aber läuft es insgesamt sehr gut.

Die Kernthemen der GLP liegen nicht in der Gesundheitspolitik, sie verschreibt sich der Umwelt und dem Liberalismus, was Grüne, respektive FDP, für sich reklamieren. Wo ist da noch Platz für die Grünliberalen?

Unsere Daseinsberechtigung ist es, die Zukunft aktiv zu gestalten. Die FDP nehme ich, gerade im Aargau, als nicht sehr gestaltungsfreudig wahr. Und die Grünen wollen, laut ihrem Präsidenten Balthasar Glättli, den links-konservativen Pol besetzen.

Ist die GLP also, nach fast 15 Jahren, noch immer im Stadium einer rebellischen Jungpartei?

Nein, überhaupt nicht. Wir sind auf der politischen Bühne angekommen, das sieht man an unseren Wähleranteilen. Man kennt uns und unser Parteiprogramm.

 
 
 
Philippe Kühni im Gespräch mit dieser Zeitung. Bild: Alex Spichale
Philippe Kühni im Gespräch mit dieser Zeitung. Bild: Alex Spichale

 

Ihre Partei hat das «Grün» im Namen und wird damit gerne den Linken zugeordnet. Wo positionieren Sie die GLP?

Die Umwelt ist die Basis für alles und hat nichts mit dem Links-Rechts-Schema zu tun. Wir arbeiten manchmal mit links und manchmal mit rechts zusammen. Das zeigt mir, dass wir gut positioniert sind.

Links stellt sich die Frage, wie Klimaschutz sozialverträglich möglich ist. Klammert das die GLP aus?

Wir verfolgen einen anderen Ansatz. Sozialverträglichkeit heisst nicht einfach, Geld zu verteilen, sondern, den Wohlstand einer breiten Schicht zu gewährleisten. Das geht auch über die Förderung der Wirtschaft, gerade im KMU-Kanton Aargau. Viele von ihnen sind im Bereich der erneuerbaren Energien tätig. Für die Wirtschaft ist die Wende eine grosse Chance, die Politik muss sie aber vorantreiben.

Das CO2-Gesetz sei im Juni an der Urne wegen der vorgesehenen Abgaben auf Benzin und Flugbilletten gescheitert, heisst es. Warum ist es Ihnen denn nicht gelungen, die Bevölkerung von diesen Vorteilen zu überzeugen?

Das Kosten-Argument kam im Abstimmungskampf von den Gegnern. Dieses zu entkräften, ist den Befürwortern offenbar nicht gelungen.

Wie macht man denn der Bevölkerung Abgaben schmackhaft?

Eine Lenkungsabgabe soll das Verhalten ändern, das kann man als asoziale Verbotspolitik bezeichnen, oder als Chance. Wir haben unser Wohnhaus so saniert, dass wir keine Energiekosten mehr haben, das nützt uns also. Von den baulichen Anpassungen profitiert auch die Wirtschaft und schliesslich wollen alle saubere Luft und Wasser und ein besseres Klima. Man merkt jeweils sofort, wenn in einem Kanton das Energiegesetz auch nur minim angepasst wird, weil dann saniert wird. Die Leute sind bereit für die Wende.

GLP Parteiversammlung, Baden, 3. September 2021. Philippe Kühni wurde einstimmig zum neuen Präsident der GLP Aargau gewählt; Vorgänger Beat Hiller, links, gratuliert. Bild: Alex Spichale
GLP Parteiversammlung, Baden, 3. September 2021. Philippe Kühni wurde einstimmig zum neuen Präsident der GLP Aargau gewählt; Vorgänger Beat Hiller, links, gratuliert. Bild: Alex Spichale

 

Ein neues Energiegesetz hat der Aargau noch nicht. Die FDP gibt der GLP zumindest eine Mitschuld am Scheitern an der Urne. Was sagen Sie dazu?

Wir haben viele neue Mitglieder, die aus dem Kreis der FDP kommen, was diese nicht gern sieht und vermutlich darum den Finger auf diesen Punkt hält. Wir haben im Grossen Rat Nein gesagt zum Energiegesetz, weil uns einige Punkte zu wenig weit gingen.

Dann aber hat die Partei die Ja-Parole gefasst, weil das vorliegende Energiegesetz noch immer besser gewesen wäre als das aktuelle. Festzuhalten bleibt, dass unsere Basis, im Gegensatz zu jener der FDP, mit grosser Mehrheit zugestimmt hat.

Wie stehen Sie zu einem Emissionshandel, wie ihn die FDP vorschlägt?

Emissionshandel ist ein effizientes und marktorientiertes Instrument zur Reduktion des CO2-Ausstosses. Wie tauglich er zum Erreichen des Ziels Netto-Null sein kann, ist aber fraglich. Es ist ehrlicher zu verzichten, wo es möglich ist, weil die Technologie längst vorhanden wäre. Das betrifft beispielsweise Ölheizungen. Es ist sowohl thermodynamisch als auch finanziell blödsinnig, Öl zu verheizen. Auch wenn man diese Emissionen dann kompensiert.

Wo wäre der Emissionshandel denn sinnvoll?

Dort, wo es Restemissionen gibt. In der Landwirtschaft oder im Luftverkehr etwa. Diese Emissionen wird man nicht so schnell aus der Welt schaffen.

Wieder aufgekommen ist auch die Diskussion über neue AKW, weil mit deren Abschaltung eine Stromlücke droht. Wäre das die Lösung?

Die Atomkraftwerke taten jahrelang einen guten Dienst, jetzt aber werden sie immer unzuverlässiger und müssen ersetzt werden. Es wäre politisch nicht mehrheitsfähig, wieder AKWs zu fordern. Denn sie sind teuer, müssten massiv subventioniert werden, und bis sie dereinst in frühestens 20 bis 30 Jahren in Betrieb wären, müssten wir das Stromlücken-Problem sowieso anderweitig gelöst haben. AKWs sind also keine wirkliche Option.