Neues Foto-Gesetz: Es droht eine Anklagewelle aus Deutschland

Was fällt Ihnen auf, wenn Sie sich die beiden Bilder unten anschauen? Zu Ihrer Information: Das eine Bild zeigt den Reggae-Musiker Bob Marley im Jahr 1978, das andere den Whistleblower Christoph Meili, der 1997 die vermeintliche Vernichtung alter Bankbelege über Vermögen von Holocaust-Opfern offenlegte. Beide Bilder wurden von Schweizer Medienschaffenden gemacht. Marley wurde vom Fotografen Max Messerli, Meili von der Journalistin Gisela Blau in Szene gesetzt.

Spannend wird der Vergleich der Fotos, wenn man sich ihren rechtlichen Status anschaut. Das Marley-Porträt ist in der Schweiz urheberrechtlich geschützt, das Meili-Bild nicht. Sprich: Wer das Marley-Foto etwa für eine Quartierzeitung verwenden möchte, der macht sich strafbar. Wer Meili im Quartierblatt abbildet, der handelt völlig legal.

Die Macht der Richter
Komisch, denken Sie sich jetzt vielleicht. Schliesslich sind beide Bilder nicht gerade preisverdächtig gut. Komisch fand das auch Gisela Blau. Ihr Meili-Bild wurde 1997 ohne ihre Bewilligung vom britischen Sender BBC übernommen. Sie klagte und blitzte 2004 vor dem Bundesgericht ab. Die Begründung der Richter lautete in etwa so: Das Bild sei kein künstlerisches Werk, das hätte jeder schiessen können. Im Fall des Marley-Bildes, das eine Posterfirma ohne Fotograf Messerlis Zustimmung vervielfältigt hatte, kam das Bundesgericht zum gegenteiligen Schluss und verpflichtete die Firma zu einer Schadenersatzzahlung.

Welche Bilder geschützt sind und welche nicht, das regelt in der Schweiz das Urheberrechtsgesetz. Dieses besagt, dass «fotografische Werke» nur dann unter Schutz stehen, wenn sie einen «individuellen Charakter» haben. Was das genau heisst, bleibt im Einzelfall den Richtern überlassen.

Anders als Gisela Blaus Meili-Porträt beurteilte das Bundesgericht Max Messerlis Aufnahme von Bob Marley aus dem Jahr 1978. Das Bild, fanden die Richter, sei ein Kunstwerk und deshalb schützenswert.

Der Bundesrat will den Richtern diesen Entscheid nun abnehmen. Gestern veröffentlichte er einen Gesetzesentwurf, der vorsieht, dass in der Schweiz alle Fotos als urheberrechtlich geschützte Werke gelten sollen. Das schwammige Kriterium des «individuellen Charakters» fällt weg. Schutzwürdig wären also auch Amateuraufnahmen, Schnappschüsse und Selfies. Das Eidgenössische Institut für Geistiges Eigentum (IGE), das die Vorlage erarbeitet hat, schreibt dazu, die Gesetzesänderung würde es Fotografen vereinfachen, sich gegen den Bilderklau zur Wehr zu setzen. «Fotografien können heute rasch kopiert und verbreitet werden.» Die Erweiterung des Schutzes schaffe da Abhilfe.

Das neue Gesetz hätte Konsequenzen für alle in der Schweiz lebenden Personen. Zwar soll es weiterhin möglich sein, private Bilder auf soziale Medien wie Facebook oder Instagram hochzuladen, zu teilen oder zu verlinken. Fotos, die man nicht selber gemacht hat, dürfte man aber nicht mehr ohne rechtliche Abklärung posten.

15 000 Euro für fünf Fotos
In Deutschland ist das bereits heute so. Es kommt regelmässig zu Klagen gegen Personen, die ohne Abklärungen fremde Bilder verwenden. Das musste 2014 auch eine Winterthurer Betreiberin eines Musikgeschäfts erfahren. Sie stellte Produktbilder von deutschen Fotografen auf ihre Homepage und wurde daraufhin von einem deutschen Anwalt angeschrieben. Die Parteien einigten sich nach langem Hin und Her auf einen Vergleich über 15 000 Euro.

Solche Fälle wird es in der Schweiz regelmässig geben, wenn die Gesetzesänderung vom Parlament angenommen wird. Davon ist Andreas Von Gunten überzeugt. Er ist Urheberrechtsexperte beim Verein «Digitale Allmend», der sich für den öffentlichen Zugang zu digitalen Gütern einsetzt. Von Gunten sagt: «Uns wird eine massive Anmahnungswelle erreichen.»

In Deutschland laufe es inzwischen so, dass Fotografen ihre Fotos als Köder ins Netz stellen, warten, bis sie jemand verwendet, und dann rechtlich gegen die Person vorgehen. «Dabei bedienen sie sich spezieller Anwälte, die in der Schweiz neue Jagdgründe finden könnten.»

Den Gesetzesvorschlag bezeichnet Von Gunten als «Katastrophe». Er befürchtet eine Reprivatisierung öffentlicher Güter, etwa der Fotos auf Wikipedia. «Vieles von dem, was heute im Internet verfügbar ist, würde verschwinden.» Kulturschätze wie die Online-Bilderbibliothek der ETH würden in Archive verbannt.

Fotografische Werke mit künstlerischem Wert seien bereits heute geschützt. «Es macht aber Sinn, dass nicht jeder Schnappschuss geschützt wird. Ich kann auch nicht jeden Satz schützen lassen, nur, weil ich ihn gesagt habe», meint Von Gunten. Christoph Schütz beurteilt den Vorschlag anders. Der Koordinator der Arbeitsgruppe Lichtbildschutz, die sich für den Ausbau des Urheberrechts starkmacht, sagt: «Werke von Dokumentarfotografen und Fotojournalisten sind bislang oft überhaupt nicht geschützt, weil ihnen die geforderte gestalterische Individualität fehlt.»

Das habe sich nicht zuletzt auch bei Gisela Blaus Meili-Porträt gezeigt. «Für Fotografen bedeutete die Gesetzesänderung, dass ihre Bilder nicht mehr einfach geklaut werden können.» Schütz begrüsst den Vorschlag daher, auch wenn solche Bildklau-Aktionen selten seien. Es gehe nicht darum, ein Massenphänomen zu bekämpfen, sondern gegen einzelne schwarze Schafe vorgehen zu können.

Kampf gegen schwarze Schafe
Anders als Von Gunten befürchtet Schütz aber keinen rechtlichen Sturm aus dem Norden. Eine Abmahnwelle deutscher Anwälte werde es nicht geben. «Im Gegensatz zu Deutschland kann man in der Schweiz dem Rechtsbrecher nicht einfach so ohne Gerichtsurteil vorprozessuale Kosten verrechnen.» In Deutschland gehe das. Da habe der Anwalt, der die Abmahnung verschickt, also sozusagen eine hundertprozentige Erfolgschance. Wie die Erfolgschancen des Gesetzesentwurfs vor dem Parlament aussehen werden, das wird sich erst zeigen. Hundertprozentig sind sie kaum.

von Samuel Schumacher — Nordwestschweiz

GESCHÜTZT Anders als Gisela Blaus Meili-Porträt beurteilte das Bundesgericht Max Messerlis Aufnahme von Bob Marley aus dem Jahr 1978. Das Bild, fanden die Richter, sei ein Kunstwerk und deshalb schützenswert. © Max Messerli/Pro Litteris
GESCHÜTZT Anders als Gisela Blaus Meili-Porträt beurteilte das Bundesgericht Max Messerlis Aufnahme von Bob Marley aus dem Jahr 1978. Das Bild, fanden die Richter, sei ein Kunstwerk und deshalb schützenswert. © Max Messerli/Pro Litteris
UNGESCHÜTZT Das Bild, das Gisela Blau von Whistleblower Meili gemacht hat, ist laut Bundesgericht nicht «individuell» genug, um geschützt zu werden. © Gisela Blau/Keystone
UNGESCHÜTZT Das Bild, das Gisela Blau von Whistleblower Meili gemacht hat, ist laut Bundesgericht nicht «individuell» genug, um geschützt zu werden. © Gisela Blau/Keystone