Neun Liter Erinnerungen aus aller Welt suchen Abnehmer

«Altlast muss raus, damit ich etwas Neues anfangen kann», sagt Patrick Kissling. Auf dem Küchentresen des 44-Jährigen stehen 180 Fünf-Zentiliter-Flaschen Spirituosen aus aller Welt. Er wolle sie bis im Sommer loswerden, wie er vor einigen Wochen auf sozialen Medien seinen Freunden mitteilte. Die Sammlung umfasst alles, was das Geniesser-Herz begehrt: Cognac, Portwein, Champagner, Gin, Vodka, Liqueur, Tequila, Whiskey und Kirsch in bunten Flaschen und Formen, die der Weitgereiste aus seinen Auslandaufenthalten mit nach Hause gebracht hat. Die teilweise bereits 25 Jahre alten Fläschchen seien alle noch verschlossen, versichert Kissling. Während des vergangenen Vierteljahrhunderts seien einige jedoch «mit den Engeln geteilt worden», sprich verdunstet.

Die Vielfalt fasziniert

«Mich hat die Vielfalt alkoholischer Getränke schon immer beeindruckt», erklärt Kissling, «jedes Land hat seine eigenen spannenden Getränke, die man hier nicht kennt.» Die Faszination dafür sei vor 25 Jahren in den Skiferien in Adelboden gewachsen. Damals kostete er ein kleines Fläschchen vom Kokoslikör «Malibu» und brachte gleich eine weitere Fünf-Zentiliter-Flasche mit nach Hause, die seither ungeöffnet darauf wartet, zu einem Drink gemixt zu werden. Fast gleichzeitig habe ihn das Reisefieber gepackt, das ihm während eines Aufenthaltes auf der griechischen Insel Kos ergriff. Er habe zunächst seine Lehre als Kältetechniker beendet, um Geld fürs Reisen sparen zu können. Kissling ergänzt: «Alle paar Jahre mache ich einen grösseren Aufenthalt im Ausland.» Seither habe er von jeder seiner Reise einzigartige Flaschen als Erinnerungsstück in die Schweiz gebracht.
Vor allem Australien hat es Kissling sichtlich angetan. Abgesehen vom Didgeridoo auf dem Sofa, welches seine Bewunderung für das Land auf der anderen Seite der Welt widerspiegelt, befinden sich unter seinen Lieblingsflaschen gleich zwei australische Spirituosen: «Sullivans Cove» und «Bundaberg Rum». Vor rund 20 Jahren verbrachte der damals 24-Jährige ein halbes Jahr auf dem Kontinent und reiste der Ostküste entlang von Cairns nach Sydney. «Sullivans Cove», dessen Ursprung er während jener Reise verzweifelt suchte, inspirierte ihn dabei zu einem Abstecher nach Tasmanien. «Ich habe überall nach der Herkunft dieses Whiskeys gefragt. Keiner wusste allerdings, dass Australien überhaupt einen eigenen Whiskey hat», lacht Kissling. «Ich habe mich dann schlau gemacht und herausgefunden, dass er in Hobart in Tasmanien destilliert wird.» Aus der Brennerei in Hobart habe er gleich zwei grosse Flasche und jene kleine als Erinnerungsstück mitgebracht. Eine der Grösseren sei bereits geleert worden.

Erinnerungsstücke müssen weg

Die kleinen Falschen trinke er nicht. Sie dienen Patrick Kissling lediglich als Medium, um Erinnerungen abzuspeichern. Über zehn Jahre hinweg wuchs die Sammlun auf 180 Stück an: Darunter befinden sich Flaschen aus Irland, Italien, Frankreich und Deutschland – jede einzelne verbunden mit Erlebnissen und Erinnerungen aus jenen Reisen. Vor 15 Jahren habe er jedoch aufgehört, zu sammeln. «Man verändert sich mit der Zeit. Irgendwann verliert man das Interesse an gewissen Sachen», erklärt Kissling. Er sei von kleinen auf grosse Flaschen umgestiegen und sammle heute Whiskey aus aller Welt. «Ich reise nicht wegen Spirituosen um die Welt», sagt Kissling lachend, «aber wenn ich unterwegs bin, schaue ich mich auch heute noch um.» An materiellen Souvenirs habe er kein grosses Interesse mehr. Seine Sammlung möchte er daher bis im Sommer loswerden. Und die Erinnerungen? «Die sind hier oben abgespeichert», sagt Kissling auf seinen Kopf zeigend, «jetzt brauche ich die Flaschen nicht mehr und darum gebe ich sie weg.»
Von zwei oder drei Flaschen könne er sich nicht trennen, ergänzt er. Diese würden in seinem Besitz bleiben. Die restlichen knapp neun Liter Spirituosen ohne Weiteres den Abfluss hinunter zu spülen, das finde er allerdings schade. «Darum habe ich mir gedacht, wenn jemand Interesse hat oder ein Fest plant, dann kann er sie haben.» Wer seine Flaschen erbt kümmert ihn wenig. Falls sie nicht wegkommen sollten, überlege er sich als Alternative ein Fest zu veranstalten, wo die Fläschchen getrunken würden.