
Noch ist es ein Geisterzug: Die neue WSB von Stadler fährt vorerst nur zum Test

Vor zwei Monaten hat Stadler den ersten neuen Zug an Aargau Verkehr ausgeliefert, der künftig auf der WSB-Strecke zwischen Schöftland und Menziken verkehren wird. Fünf Kompositionen des Typs ABe 4/12 hat Aargau Verkehr (AVA) bestellt. Die andern vier sollen sukzessive bis Ende Jahr folgen. Noch ist der erste der 60 Meter langen blau-weissen Dreiteiler ein Geisterzug. Jedenfalls verkehrt er in der Regel nicht vor der Geisterstunde auf dem WSB-Schienennetz. Die Testfahrten finden statt, wenn der fahrplanmässige Betrieb ruht. Tagsüber steht der Neuling in der Werkstatt in Schöftland, wo diverse statische Tests durchgeführt werden.
Die Testfahrten sind nötig, damit das Bundesamt für Verkehr (BAV) das Fahrzeug für den operativen Einsatz zulässt. Und es geht darum, laufend noch Details zu verbessern. Von Stadler ist auf den Testfahrten immer ein Techniker dabei. Er nimmt direkt auf, was bemängelt wird. Beispielsweise ein im Bereich eines Rückspiegels erzeugtes Pfeifen, das der Lokführer im Führerstand hört, wenn das Tempo 50 km/h übersteigt. So können die Fahrzeugbauer im thurgauischen Bussnang reagieren und die Änderungen an den weiteren Kompositionen von Anfang an ausführen. Laut Erwin Rosenast, Leiter Kommunikation Aargau Verkehr, findet wöchentlich auch ein institutionalisierter Abgleich zwischen Aargau Verkehr und Stadler statt.
Was gibt es eigentlich zu testen? Ganz neu entwickelt wurde die Komposition ja nicht. Aber es ist eine Spezialanfertigung. «Jeder Kunde hat seine spezifischen Bedürfnisse», sagt Lukas Schoch, kommerzieller Projektleiter Stadler. Michael Zimmermann, technischer Projektleiter Stadler, wird konkret: «So haben wir beispielsweise den Führerstand noch nie gebaut. Das gilt etwa für die Anordnung der Bedienelemente. Viele werden via Touch Screen betätigt. Der Lokführer sitzt in der Mitte und hat, was im Strassenbahnbereich besonders wichtig ist, eine gute Sicht auf alle Seiten. Der Umfang der sogenannten A-Säulen (die Verbindung zwischen Fahrzeugdach und vorderer Spritzwand) wurde daher auf ein Minimum reduziert. Die Crash-Normen, die das Bundesamt für Verkehr vorgibt, werden eingehalten.
Ein anderes spezifisches Bedürfnis war nach Schochs Worten ein grosszügiger Eingangsbereich, der einen grossen Passagierwechsel ermöglicht. Zurzeit werden Bremsversuche durchgeführt, Bremswegmessungen – beispielsweise auf nassen Schienen. Dabei handle es sich um die Sicherheitsnachweise, welche das BAV verlange, sagt Michael Zimmermann. Getestet werden auch Elemente, die den Komfort der Passagiere betreffen, etwa Fahrgast-Informationsanzeigen, Klimaanlage, Heizung, Geräuschkulisse, Beleuchtung.
Auf dem Schienennetz im Wynen- und Suhrental sind schon zwei andere Fahrzeugtypen im Einsatz. Für den Typ ABe 4/12 benötigt das Lokpersonal eine zusätzliche Fahrzeugausbildung. In einer ersten Phase wird es theoretisch ausgebildet. «Bei der praktischen Fahrzeugausbildung», so Pierino Guardiani, Leiter Bahnproduktion Region West von Aargau Verkehr, «sitzt ein Ausbildungslokführer mit im Führerstand.» Diese wurden in einer ersten Phase intern ausgebildet. Bis Mitte Jahr sind alle 50 Lokführer und -führerinnen ausgebildet und können den neuen Zug alleine fahren.
Zulassung per Ende Mai
Die Testfahrten dauern noch rund zwei Monate. Am 23. Mai beginnt die sogenannte Betriebserprobung – fünf Tage nach dem Zugseinweihungsfest vom 18. Mai in Schöftland. «Dann», sagt Guardiani, «haben wir – im Fahrplanbetrieb – noch Zeit, den Zug zu testen. Lukas Schoch präzisiert diese Aussage: «Es ist nicht die Meinung, dass wir einen Zug bauen, der noch vom Fahrgast erprobt werden muss – es geht dann mehr noch um die Härteerprobung.» Und Michael Zimmermann macht klar: «Die eigentlichen Tests sind am 23. Mai abgeschlossen, das Fahrzeug wird davor vom BAV abgenommen und Aargau Verkehr darf damit herumfahren – und zwar mit Fahrgästen.»
Gestern Mittwoch wurde die zweite Komposition angeliefert. Ab der zweiten Komposition seien gemäss den BAV-Vorgaben nicht mehr alle Tests notwendig, sagt Schoch. Die zweite und die dritte Komposition werden für Tests in Doppeltraktion benötigt. Im fahrplanmässigen Betrieb kann das zweite Fahrzeug deshalb ab 23. Mai noch nicht eingesetzt werden.