
Noch VAR-iieren Anspruch und Realität – MIT AUDIO
Michael Wyss: Die Diskussion, ob es den Videoschiedsrichter oder eben VAR im Spitzenfussball braucht, ist mittlerweile keine mehr. Doch spätestens seit dem sonntäglichen Aufeinandertreffen in der Super League zwischen YB und Lugano ist die Frage durchaus erlaubt, in welchen Fällen der VAR eingreifen soll und wann nicht. Die Fernsehbilder beweisen, dass der Eckball, der zum 2:0 für die Berner geführt hat, von klar ausserhalb der Markierung getreten wurde. Ein Fall für den VAR? Ich finde ja.
Pascal Kamber: Ich finde, man kann es mit den technischen Hilfsmitteln im Sport auch übertreiben. Als letzte Woche Barcelonas Torhüter Marc-André ter Stegen im Heimspiel gegen Atlético Madrid den Elfmeter von Diego Costa hielt, war die Freude nur von kurzer Dauer. Der Schiedsrichter liess den Strafstoss nach einem Input des Video-Refs wiederholen, weil sich ter Stegen eine Millisekunde zu früh nach vorne bewegt hatte. Zu allem Übel kassierte ter Stegen dafür noch die Gelbe Karte, und gegen den zweiten Versuch konnte er dann nichts mehr ausrichten. Genau mit solchen Geschichten wird die an und für sich gute Idee «VAR» ad absurdum geführt.
mwy: Regeln sind nun mal Regeln und die gilt es in jeder Situation und in jeder Phase des Spiels umzusetzen. Ansonsten haben wir eine halbbatzige Lösung. Bei gewissen Regelverstössen wird eingegriffen, bei gewissen nicht, obwohl die Folgen ähnlich entscheidend sein können. Das wäre dann etwa so, wie wenn die Polizei eine Geschwindigkeitskontrolle macht und bei dieser feststellt, dass ein Fahrzeuglenker zwar nicht zu schnell unterwegs ist, aber sein Auto in keinster Weise mehr dem Sicherheitsstandard genügt. Die Polizei würde ihn weiterfahren lassen, weil sie ja lediglich für Geschwindigkeitskontrollen ausgerückt war.
pka: Dass es Regeln braucht, ist mir bewusst. Genauso gehören aber auch Fehler zum Spiel dazu. Seien wir doch ehrlich: Ohne die hitzigen Diskussionen würde dem Fussball etwas fehlen, oder nicht? Wenn eine derart bahnbrechende Idee wie der VAR eingeführt wird, muss die Umsetzung reibungslos funktionieren. Alles andere macht keinen Sinn. So, wie sich die Situation präsentiert, ist leider eher das zweite der Fall: Ein Spieler schiesst ein Tor und die Zuschauer wissen nicht, ob sie jubeln sollen oder nicht – es könnte ja sein, dass der Treffer überprüft und aberkannt wird. Das nimmt dem Spiel jegliche Emotionen. Wie man die Technik erfolgreich zu Hilfe zieht, zeigt der Blick auf den Tennisplatz. Jeder Spieler kann pro Satz dreimal das «Hawk-Eye», ein computergestütztes System zur Ballverfolgung, aufrufen. Liegt er bei der strittigen Szene richtig, behält er die Challenge, wenn nicht, verliert er sie. So wird verhindert, dass es zu ständigen Spielunterbrüchen kommt. Und das Beste: Jeder im Stadion kann die Wiederholung am Bildschirm mitverfolgen. Schlicht und vor allem transparent – so sollte es auch im Fussball sein.
mwy: Keine schlechte Idee. Im American Football gibt es das ja schon länger – und es funktioniert einigermassen. Bezüglich Fehler bin ich aber nicht deiner Meinung. Im Fussballgeschäft – und es ist nun einmal ein Geschäft – haben Fehler von aussen immer weniger Platz. Und dass weniger Fehler gleichbedeutend mit weniger Emotionen sind, stimmt auch nur bedingt. Ich verstehe, dass die Technik den Augenblick der puren Freude zerstören kann, aber mir ist das immer noch lieber. Damit würde es auch wieder mehr um die Leistung des Teams gehen und die ständigen Diskussionen über Fehlentscheide hätten endlich ein Ende.
pka: Ich bleibe dabei, für mich gehören die Fehlentscheide zum Fussball wie die Butter aufs Brot. Trotzdem verwehre ich mich keineswegs gegen den technischen Fortschritt. Nebst sinnlosen Regeln wie jener beim Elfmeter müssen die lästigen Kinderkrankheiten des VAR aber zwingend behoben werden, damit das System ein Niveau erreicht, das alle zufrieden stellt. Über die nötigen finanziellen Mittel und das vorhandene Know-how für die Weiterentwicklung muss sich der Weltfussballverband ja keine Sorgen machen.