
Nur 45 Schweizer Soldaten sind im Corona-Einsatz – dabei laufen die Pflegeheime am Limit
Letzten November beschloss der Bundesrat, dass die Armee Spitäler und andere Einrichtungen während der Pandemie unterstützen darf. Doch an diesen Orten scheint die Armee gar nicht gefragt zu sein. Obwohl der Bundesrat ein Truppenaufgebot von bis zu 2500 Armeeangehörigen vorgesehen hatte, sind derzeit nur 45 Soldaten im Einsatz. Wie kommt das?
Armeesprecher Daniel Reist sagt, dass die Kantone im Detail nachweisen müssten, dass alle zur Verfügung stehenden zivilen Mittel ausgeschöpft seien, bevor die Armee geholt werde. «Dies ist in der heutigen Lage nicht der Fall.» So liegen die letzten bewilligten Gesuche auch eine Weile zurück, wie der Bund mitteilt. Es seien die Kantone Tessin und Basel, welche Anfang November die Armee um Unterstützung gebeten haben. Anfragen der Westschweizer Kantone für die Unterstützung der Armee beim Impfen hatte der Bund abgelehnt.
Gemäss dem Basler Regierungsrat sind 27 Angehörige der Armee gegenwärtig im Notfallzentrum des Universitätsspitals Basel im Einsatz. «Sanitäts- und Spitalsoldaten unterstützen das Pflegepersonal bei der Arbeit», sagt Regierungssprecher Marco Greiner. Grund dafür sei die angespannte Lage in den Spitälern und Alters- und Pflegeheimen zum Zeitpunkt der Gesuchstellung.
Pensionierte werden wieder angestellt
Gleichzeitig hatte das Parlament im Dezember die Ausweitung der Armee-Einsätze auf die Alters- und Pflegeheime abgelehnt. Für den Heimverband Curaviva völlig unverständlich, da man froh wäre um Unterstützung in den Alters- und Pflegeheimen. «Wenn es in der Pflege einen Engpass gibt, kann man Armee-Soldaten einsetzen, denn sie haben im Rahmen ihrer Ausbildung auch pflegerische Kompetenzen erworben», sagt Monika Weder von Curaviva. Derzeit hielten sich die Heime über Wasser, indem sie Freiwillige suchen, Teilzeitpensen aufstocken oder sogar Pensionierte zurückholen würden. Gemäss Recherchen der «Sonntagszeitung» sind in zahlreichen Heimen in der ganzen Schweiz sogar erkrankte Angestellte zur Arbeit erschienen – wegen Personalmangel.
Die Lage sei ernst, das Parlament müsse unbedingt nochmals über die Bücher, so Curaviva. Und tatsächlich kommt jetzt erneut die Forderung nach Unterstützung der Armee auf. Die Gesundheitskommission des Nationalrates hat eine entsprechende Motion verabschiedet – sie wird von allen Parteien unterstützt. Dort heisst es: «Der Personalmangel in den Alters- und Pflegeheimen ist sehr akut.»
Impfstrategie des Bundes muss aufgehen
Ständerat Thomas Minder, der sich etwa im Dezember gegen einen Einsatz von Armeeangehörigen in Alters- und Pflegeheimen gewehrt hatte, bleibt jedoch weiterhin bei seiner Meinung: «Je mehr Drittpersonen in ein Heim kommen, umso grösser ist das Risiko der Ansteckung oder Einbringung des Virus.» Mitte-Nationalrätin Ruth Humbel, die der Gesundheitskommission vorsteht, räumt der Motion grosse Chancen ein, hat aber einen Vorbehalt: Wenn die Impfstrategie des Bundes aufgehe, dürfe sich die Situation in den Pflegeheimen deutlich entschärfen und auch eine Entlastung für das Personal bringen. Auf die Frage, warum sie es beim ersten Mal abgelehnt hatte, Armee-Angehörige in Pflegeheimen einzusetzen, sagt Humbel: «Meistens handelt es sich bei spezialisiertem Militär um Gesundheitsfachpersonen, die in einer anderen Institution abgezogen werden.» Ein zweiter Grund war für sie, dass der Bund den Kantonen mehr finanzielle Unterstützung für den Einsatz des Zivilschutzes zugesprochen habe. Für Curaviva ist das jedoch keine valable Alternative, weil die Zivilschützer keine pflegerischen Kompetenzen haben.
Bleibt die Frage nach der gesellschaftlichen Verantwortung der Schweizer Armee in Zeiten einer Pandemie. Der Armeesprecher Daniel Reist antwortet: «Alle Milizangehörigen, die wir in den Einsatz bringen, fehlen während des Einsatzes ihrerseits an ihrem Arbeitsplatz und in ihrer Familie, wo sie auch dringend gebraucht werden.»