Oberste Schweizer Lehrerin über Bundesrats-Entscheid: «Dies ist eine Feuerwehrübung für die Schulen»

Der Bundesrat hat Vorgaben gemacht. Ist jetzt klar, wie Schulen wieder geöffnet werden können?

Dagmar Rösler: Nein. Wir begrüssen zwar, dass der Bund Grindprinzipen veröffentlicht hat, die für alle Kantone gelten. Wir bedauern aber, dass darin weitere wichtige und für alle Kantone verbindliche Regeln und Vorgaben fehlen. Sehr viel ist noch nicht geklärt für die Umsetzung ab dem 11. Mai. Nun wird jeder Kanton ein eigenes Schutzkonzept erstellen müssen, was zu sehr grossen Unterschieden und einem kantonalen Flickenteppich führen kann. Man sieht dies bereits bei den Maturitätsprüfungen. Bei einem Problem, das die ganze Schweiz betrifft, hätten wir uns einen einheitlicheren Geist gewünscht.

Warum ist dies so schlecht?

Einerseits ist die Umsetzung jetzt sehr sportlich. Es geht noch eineinhalb Wochen, bis der Präsenzunterricht wieder starten soll. Dies ist eine Feuerwehrübung für die Schulen.

Andererseits?

Andererseits ist ein Flickenteppich wenig vertrauensfördernd. Die Eltern vergleichen ja und schauen, wie es in den anderen Kantonen aussieht. Bis jetzt hat der Bundesrat sehr vertrauenswürdig informiert. Die Eltern, die Bevölkerung insgesamt, haben die Entscheide auch akzeptiert, weil sie glaubwürdig wirkten. Wenn der Bund das Heft aus der Hand gibt und so viele Varianten entstehen, wirft das bei den Eltern und natürlich auch bei Schulleitungen und Lehrpersonen viele Fragen auf.

Können Sie ein Beispiel machen?

Laut dem Bundesamt für Gesundheit sollen Kinder ab zehn Jahren ansteckender werden, je älter sie sind. Der Bund sagt aber einfach: Die Kantone könnten für Kinder ab zehn Jahren weitere Massnahmen treffen. Es gibt keine genauen Hinweise, welche Massnahmen getroffen werden sollen. Einige Kantone werden nun vielleicht ab der 4./5. Klasse mit kleineren Gruppen oder Halbklassen starten, andere mit ganzen Klassen. Solche Unterschiede machen doch wenig Sinn. Denn das Virus ist überall gleich ansteckend. Wenn der Bund schon Altersangaben macht, dann müsste er doch auch klipp und klar sagen, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind – aufgrund von wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Spüren Sie Ängste bei Lehrern oder Eltern?

Ja. Das spüren wir. Wir erhalten viele entsprechende Reaktionen. Es geht beispielsweise um Eltern und Lehrer, die zur Risikogruppe gehören. Es geht aber auch um Eltern, die sich einfach fragen, ob sich die Kinder in der Schule anstecken können. Es ist sehr viel offen und unsicher. Öffnen die Restaurants, kann ich entscheiden, ob ich hingehe oder nicht. Bei den Schulen ist es anders: Für Kinder gilt prinzipiell die Schulpflicht.

Der Bundesrat argumentierte gestern, es sei sinnvoll, dass vor Ort entschieden werden könne.

Natürlich soll der Bund den Schulen nicht vorschreiben, wie viel Desinfektionsmittel sie benötigen. Feinjustierungen sollen vor Ort möglich sein. Aber wichtige Grundprinzipien und deren Ausführung sollte der Bund vorgeben. Wir hoffen, dass zumindest in den Regionen, beispielsweise in der Nordwest- oder Zentralschweiz, die Koordination unter den Kantonen einigermassen funktionieren wird.

Welche Rückmeldungen erhalten Sie aus der Westschweiz?

Das Tessin und das Genferseebecken sind viel stärker vom Virus betroffen. Je direkter man betroffen ist, umso vorsichtiger wird man. Aber unsere Westschweizer Kollegen äussern ähnliche Meinungen wie der Schweizer Lehrerverband.

Was passiert nun am 11. Mai?

Es ist alles möglich. Einige Kantone werden die Schulen ganz öffnen. In anderen, etwa im Tessin oder in der Waadt, ist es möglich, dass noch zugewartet wird. Wie wird der Schulbetrieb 
aussehen? Man darf auf keinen Fall erwarten, dass es am 11. Mai so weiter geht, wie es vor dem 13. März war. Die Hygienemassnahmen beispielsweise sind einschneidend und verändern den Unterricht. Ich gehe auch nicht davon aus, dass man immer alle Blockzeiten einhalten kann. An eine Rückkehr zur Normalität ist derzeit nicht zu denken. Aber das muss ich auch noch sagen: Grundsätzlich freuen wir Lehrerinnen und Lehrer uns natürlich auch, dass die Schulen wieder öffnen und wir unsere Schülerinnen und Schüler wieder sehen dürfen.