
Ohne Bühne ist es, als würde ein Teil von ihr fehlen
Serie
Wie geht es den Künstlerinnen und Künstlern aus der Region in Zeiten von Corona? Das Zofinger Tagblatt hat sich mit sechs von ihnen getroffen. So sehr, wie sie sich voneinander unterscheiden, tun es auch ihre Geschichten.
Bühnenkünstlerinnen und -künstler sind bekanntermassen Leidtragende in der Pandemie. Die Einschränkungen verunmöglichen oder erschweren Auftritte vor einem Publikum. Jene, die freischaffend sind, haben es noch schwerer. Melanie Schütz ist eine von ihnen. «Seit Beginn der Pandemie fühlt es sich an, als würde ein Teil von mir fehlen», sagt die 29-Jährige. Das ZT traf sich mit ihr an einem verregneten Abend in einem Café in der Zofinger Altstadt. Sie lebt in Langnau bei Reiden und ist Theaterschauspielerin.
Während sie ihren Tee trinkt, erzählt sie: «Schon früh in meiner Schulzeit spielten wir Theaterstücke.» Dies sei unter anderem der Tatsache zu verdanken, dass sie im Engadin, woher sie auch stammt, in eine Waldorfschule gegangen ist. «Ich liebte es, in Rollen zu schlüpfen und mich mit dem Körper auszudrücken.» Also trat sie schon früh Theatergruppen bei, wodurch sich ihr Wunsch verfestigte, Schauspielerin zu werden. Nach ihrer Matura zog es sie nach Kassel, wo sie die Schule für Darstellende Künste besuchte. «Ich wollte das richtige Bühnenhochdeutsch lernen», erklärt sie.
Sie zieht das Publikum in ihren Bann
Direkt nach dem Abschluss kam sie wieder in die Schweiz, wo sie an Aufträge kam. «Ich spiele meistens in Theaterstücken für Kinder», sagt sie. «Sie sind brutal ehrlich. Wenn es ihnen nicht gefällt und sie sich langweilen, zeigen sie das.» Wenn sie merkt, dass die Kinder nicht überzeugt sind, verändert sich auch ihr Schauspiel. «Man muss auf das Publikum achten und es in seinen Bann ziehen», sagt sie.
Eine andere Herausforderung in ihrer Karriere war, eine männliche Rolle zu spielen. Sie erzählt: «Während der Zeit, in der ich mir die Rolle aneignete, achtete ich mich stärker darauf, wie Männer sich bewegen. Dabei machte ich eine unglaublich spannende Beobachtung: Wenngleich es Attribute gibt, die definitiv als ‹männlich› bezeichnet werden können, bewegt sich doch jeder Mann unterschiedlich.»
Nun sind schon Monate seit Schütz’ letztem Auftrag von einem Theater vergangen. Dieser war im vergangenen Herbst und kam von der Märlibühne Wil. «Ich spielte im Stück ‹Eine Woche voller Samstage› die Figur Sams. Ich habe keine Rolle jemals lieber gespielt. Denn die Botschaft des Stücks ist, dass man sich selbst so akzeptiert, wie man ist.» Nach drei Aufführungen kam jedoch der zweite Lockdown. Sie hoffte, dass es danach weitergeht, doch das Theater wurde geschlossen.
Weil sie freischaffend ist, hat sie keinen fixen Arbeitgeber, sondern viele gleichzeitig und in unregelmässigen Abständen. «Daher habe ich im ganzen Jahr 2020 keine staatliche Hilfe bekommen, konnte mich nicht arbeitslos melden und bekam auch keinen Erwerbsersatz.» Sie lebte von Ersparnissen. Erst im September bekam sie Hilfe, und zwar aus einem Fonds, den es für Fälle wie ihren gibt. Abgesehen davon hält sie sich momentan mit gelegentlichen Aufträgen über Wasser, wie zum Beispiel als Tanzlehrerin.
Trotz allem bleibt ihr der Optimismus
Laut Schütz kommt man in ihrer Branche meistens durch sein Netzwerk an Aufträge. Trotz den jüngsten Lockerungen herrscht jedoch Flaute. Bevor sie im Herbst wieder in einem Kindertheater, «P. Pan», spielt, übernimmt sie im August die Leitung des Kindertheaters Langenthal. Doch eine Theaterrolle hatsie für diesen Sommer noch nicht. «Ich würde gerne vielleicht mal wieder in einem Stück für Erwachsene spielen», sagt sie.
Sie kann momentan nicht mehr tun, als Bekannte aus ihrem Netzwerk nach Rollen zu fragen. «Kultur ist systemrelevant. Das musste ich immer wieder Leuten erklären, die meine Situation nicht verstanden haben. Ich habe keinen Plan B, ich will Schauspielerin bleiben.» Etwas hat ihr Corona nicht weggenommen: Ihren natürlichen Optimismus.
