
Ohne Handy ist Covid doppelt kompliziert: Der Hürdenlauf eines Handylosen
Wenn Siegmund Beck im Theaterstudio Olten sitzt, zuvorderst in der ersten Reihe, wird er schon einmal von den Künstlern auf der Bühne erkannt. Dann kann der 88-jährige Stammgast plötzlich Opfer einer improvisierten Pointe eines Komikers werden. Der Senior lächelt, während er an eine jener Episoden zurückdenkt. «Sie wissen schon, dass ich nicht gut höre und nehmen mich manchmal aufs Korn.» Er liebt Theater und Musik, seit Jahren hat er ein Abo für das Theaterstudio, ist Stammgast im Kultur- und Kongresszentrum Luzern.
Siegmund Beck sitzt auf der Terrasse seiner Wohnung in Oftringen, wo er alleine wohnt. Die Hose kariert, das beige Hemd gebügelt, die weissen Haare säuberlich nach hinten gekämmt. Früher war er Modeeinkäufer für grosse Warenhäuser und hat geschäftlich die Welt bereist, heute ist er Kultur-Konsument. «Ich gehe ins Theater zur Unterhaltung, aber auch um unter die Leute zu kommen», sagt der gebürtige Holländer. Als Covid ins Land zog, war die Saison jäh zu Ende. Mit bald 90 Jahren durfte er kein Risiko eingehen und isolierte sich in den eigenen vier Wänden. Lange Monate waren das, bis Anfang 2021 endlich die Impfung am Horizont erschien. Sich dafür anzumelden war aber gar nicht so einfach. Das Internetformular wollte eine Handynummer. Doch ein Handy hat Siegmund Beck nicht.
Ist kein Handy da, werden viele Hände gereicht
«Ich bin nicht einer, der den ganzen Tag auf einen winzigen Bildschirm schaut», sagt der Senior. Und weil er das Gerät so selten benutze, wisse er bei der nächsten Anwendung nicht mehr, wie es zu bedienen sei. Er hat Computer mit Internet und dieser – grosse – Bildschirm genügt ihm. «Meine Enkel schenkten mir einst ein Natel und stellten es mir ein. Doch als ich es Monate später hervorholte, konnte ich mich bereits nicht mehr erinnern, wie alles ging.» Für den Impftermin assistierte ihm seine Tochter, indem sie ihre Handynummer bei der Anmeldung angab. «Seit April bin ich nun geimpft», sagt er. Die Hürde war gemeistert. Oder besser: die erste, denn bald war von einem Zertifikat die Rede. Diese Idee begrüsste er, «denn trotz Impfung traute ich mich wegen meines Alters noch nicht ins Theater oder an ein Konzert». Aber wie würde er ohne Handy zu einem Zertifikat kommen?
Mit dem Problem ist der Oftringer nicht allein, weiss Pirmin Kaufmann, Geschäftsleiter von Pro Senectute Aargau. «Zwar hat ein Grossteil von diesen älteren Menschen das Zertifikat noch vor dem Sommer und somit per Post erhalten, aber sobald dieses aufs Handy muss, stehen sie an.» Bei Bedarf würde Pro Senectute weiterhelfen, man beobachte aber, dass Seniorinnen und Senioren fast immer Unterstützung aus ihrem Umfeld bekommen (Freunde, Bekannte, Nachbarn, Familie, Hausarzt).
Der lange Weg zum Zertifikat auf Papier
Auch Siegmund Beck konnte auf seine Familie zählen. Er schickte seiner Tochter die Kopie seines Impfausweises und der Impfbestätigung des Spitals Zofingen, sie besorgte ihm via ihre Handynummer ein Zertifikat in PDF-Form. Dieses hat er jetzt auf Papier neben sich auf dem Gartentisch liegen – mehrfach ausgedruckt, man weiss nie. Hilfe hätte er auch vom Spital Zofingen erhalten. «Als ich dort anrief und sagte, dass ich kein Smartphone habe, boten sie mir an, das Zertifikat bei ihnen auszudrucken.» Schön sei das, sagt er. Zu sehen, dass man auch ohne Familie nicht ohne Hilfe wäre.
Auch gelangt man über die Website des Kantons zu einem Formular, mit dem man ein Papier-Zertifikat auf dem Postweg bestellen kann, «ich war aber irritiert, weil man darauf ebenfalls die Handynummer angeben musste». Wie der Kanton auf Anfrage mitteilt, muss dieses Feld aber nicht zwingend ausgefüllt werden. Die Angabe diene Handynutzern, damit die Telefonnummer im System erfasst werden kann und der Person bei Bedarf das Zertifikat per App zur Verfügung steht, heisst es vonseiten des Departements Gesundheit und Soziales.
Dank seinen Nachforschungen ist Siegmund Beck nun auch für das nächste Zertifikat nach einer allfälligen dritten Impfdosis gerüstet. Dem abendlichen Ausgang sollte nichts mehr im Wege stehen. Sein nächster Besuch im KKL steht überdies schon fest. Am 15. November spielt das Berner Symphonieorchester Beethovens neunte Sinfonie.