Performance -Abend «Baumfänger»: Strahlende Präsenz – pure Würde

Karin Minger, Performerin aus Bern, beim Wurzeltanz (mif)
Karin Minger, Performerin aus Bern, beim Wurzeltanz (mif)

Nichts geschieht. Nichts soll geschehen. Und doch ereignet sich so vieles an diesem Abend auf der Zofinger Schützenwiese. Durchsichtiger Elefant, still und bewegungslos stehst du da im Licht der Abenddämmerung. Im Innern sitzt eine kurzhaarige Frau. Ihr weicher Gesichtsausdruck ist heiterer Andacht gewidmet. Ihr silbernes Kleid mit Schleppe mutet an wie ein Accessoire zu einem Fest. 

Die Präsenz, die hier in Verbindung zwischen Mensch und Tier erblüht, schöpft ihre Kraft aus Leichtigkeit, Luft, Atmung und reflektierendem Licht. Eine halbe Stunde nur dauert das Spektakel. Die Sonne geht unter, der Tag weicht der Nacht. Drei Scheinwerfer werfen ihr Licht auf den Elefanten und bringen ihn zum Leuchten. 

Auratisches Dasein verzauberte das Publikum 

Es sind 50 bis 60 Augenpaare, die dieses Schauspiel an diesem Abend verfolgen. Sie stehen in respektvollem Abstand zum mit Luft gefüllten Elefanten. Die Arbeit der Luftpumpe wird von den Umgebungsgeräuschen verschluckt. Wer denkt, die Frau schenkt dem Elefanten ihren Lebenshauch, könnte sich täuschen. Tier und Frau beatmen sich gemeinsam. Die innere Verbindung, die hier entsteht, strömt eine magische Aura aus. 

Die Menschen vor Ort nehmen Abstand. Ausser Fotografen und Filmern traut sich kaum jemand in die Nähe dieses innerlich feierlichen Ritus. Manche Leute umkreisen die zauberhafte Erscheinung, kaum jemand spricht. Nichts wird erzählt. Nichts bewegt sich. Und doch ist das Publikum gebannt von der reinen Präsenz. Man ist sehr berührt und verbunden mit der Körperlichkeit dieser Erscheinung. In seiner eigenen Körperlichkeit fühlt man sich ganz im Moment aufgehoben. So würdevoll kann das reine Dasein – unser eigenes Dasein – sein. 

Die Elefanten-Performance von Victorine Müller berührt nicht nur in Zofingen. Sie ist damit auch schon in Karachi in Pakistan aufgetreten. «Das ist die verletzte und noch immer verletzliche Seele Afrikas», habe ihr jemand anlässlich der Karachi Biennale 2019 gesagt. Mancherorts seien die Menschen zu Tränen gerührt gewesen. 

Mystischer Wurzeltanz des Künstlerduos ComCom 

Wie ein Kronleuchter hängt sie von der Decke des grossen Saals. Die Wurzel, die das Künstlerduo ComCom schlicht mit «Baum 3» betitelt hat, ist während Tagen bis ins feinste Haarwerk freigelegt worden. Karin Minger, Performerin aus Bern, betanzt diese Wurzel, indem sie deren Verästelungen und Verwachsungen nachempfindet und nachbildet. Zunächst liegt sie bloss. Dann windet sie sich unter Begleitklängen zusehends befreit bis unter die Wurzel empor. Dem Ritus des Werdens und Vergehens folgend sinkt sie zum Schluss wieder in sich zusammen. Wenn auch auf eine ganz andere Art, berührt auch diese Performance das Publikum. Didine Stauffer beschliesst den Abend mit einem beschwörenden Trommelkonzert auf ihren Handtrommeln. Der Elefant leuchtet hinter ihr wie ein mahnendes Denkmal. Alle drei künstlerischen Aktionen haben den Moment gefeiert und leben bloss in der Erinnerung des Publikums weiter. Eine Stunde später liegt die menschenleere Schützenwiese wieder in einsamer Dunkelheit. 

Karin Minger, Performerin aus Bern, beim Wurzeltanz (mif)