
Performancefenster Neoscope 2019: : Aneignen, durchdringen, verschieben


Neoscope 2019
Das Performancefenster war Teil der Ausstellung Neoscope 2019. Diese dauert noch bis zum 20. Oktober und ist Donnerstag, Samstag und Sonntag geöffnet.
Samstagmittag um 13 Uhr: Eine Gruppe von Jugendlichen und Erwachsenen applaudiert frenetisch auf der Schützenwiese vor dem Kunsthaus Zofingen. Das Klatschen der Gruppe «Remote Citizen», die zum grössten Teil aus 2.-Gymnasial-Schülern aus dem Kollegi Altdorf besteht, ist inszeniert. Gemeint sind zwei Künstler, die auf einem zur Bühne umgebauten Lieferwagen Knöpfe betätigen und an Reglern schrauben und schieben. Timo Ullmann und Micha Bietenhader haben einen Teil der Wiese mit Lautsprechern umstellt und damit einen Klangraum geschaffen.
Ein Vakuum von implodierenden Klängen
Ihre Soundperformance «DeadLine» ist ein diffiziles Übereinanderlagern und Auseinanderdividieren von Schallwellen. Dessen Sog verschluckt alles übrige geräuschhafte, auch den Verkehrslärm der nahen Strasse. Das Duo stellt mit seinem verkabelten Sammelsurium antiquierter Alltagselektronik und modifizierter Messinstrumente eine flimmernde Soundscape her. Gerade mal eine Handvoll Leute tauchen im Rahmen des Performancefensters zur Kunsthaus-Ausstellung Neoscope 19 in dieses Experiment ein. Wer sich der rhythmisch wabernden Geräuschkulisse überlässt, ist in ein Vakuum von implodierenden Klängen hineinversetzt und fühlt sich doch ganz im Moment aufgehoben.
Nicht aus der Introspektion, sondern aus der Expansion und Intervention gewinnt die Aktion von Remote Citizen ihre Durchschlagskraft. Die Gruppe überzieht die Altstadt Zofingens mit einem Netz von synchron orchestrierten Störaktionen. Per Kopfhörer stets auf Empfang geschaltet nimmt jede und jeder auf, was die Regie einen ins Ohr flüstert. Zum Beispiel die Richtung zu wechseln oder eine unkonventionelle Aktion vorzunehmen, wie sich an Ort und Stelle aufs Pflaster auszubreiten. Das wohlorganisierte Miteinander belustigt und irritiert die Passanten. «Was die da machen? Zum Glück sind wir nicht mehr jung», meint ein älteres Ehepaar.
Das Glück kann an diesem Tag unterschiedlich aussehen in Zofingen. So zu erleben beim Rosengarten-Café, wo sich professionelle Aktionskünstler in «The Gathering» zusammenfinden. Ein Mann ist mit Seilen in unterschiedlichsten Konstellationen zwischen die Bäume verhängt. Eine Frau mit verbundenen Augen steckt sich laufend einen neuen Bewegungsraum ab. Suchend und tastend bewegt sie sich zwar über die Wiese, kommt aber doch nie aus ihrem Geviert heraus. Eine andere Frau schwingt einem Lasso gleich einen Gartenschlauch mit Trichteraufsatz durch die Luft und trompetet mit 360 Gradwirkung ins Rund. Daneben löst einer seelenruhig ein Puzzle, während ein Mann mit aufgemaltem Herzen auf der Brust mit symbolischen Gesten den Dialog sucht.
Die Performancekünstler Angela Hausheer und Leo Bachmann geleiten 15 Frauen und Männer zur Exkursion in Zofingens Pro-Specie-Rara-Obstgarten. Vor Ort verteilen sie zehn unterschiedlich mit Hornklängen, Obstsorten und Tierarten bespielte und durchgetaktete Tonspuren, die in Lautsprecher einprogrammiert sind. Indem sich die Tonträgerinnen und -träger durch den Raum bewegen und sich in ein Verhältnis zueinander setzen, werden sie Teil einer sich stetig wandelnden Klangskulptur. Unversehens treten sie in Dialog mit den Obstbäumen. Einige pflücken Äpfel und Birnen, andere schmiegen sich an die Stämme. Eine Beteiligte beginnt mit Äpfeln zu jonglieren. Zeit und Raum scheinen aufgehoben zu sein.
Christian Ratti verführt mit schrägem Witz
Christian Ratti gerät die Beschäftigung mit Dolendeckeln zur zwischen Wissenschaft und Kunst oszillierenden Dolologie. Mit subtilem Witz taucht er in die Dolendeckel-Industrie-Geschichte ein, gebärdet sich als Denkmalschützer und schafft es, aus verschrobener Perspektive immer wieder gesellschaftskritischen Sprengstoff zu zünden. Seiner Gefolgschaft steht stets das Lachen auf dem Gesicht, während er abenteuerliche Brücken zwischen verschiedensten Tatsachen herstellt, dabei stets etwas flunkert und doch immer die Wahrheit sagt. Ob er Froschleitern aus den Schächten herausbaut, Anleitungen dazu gibt, Dolendeckel herumzuwerfen, indem er gerade ausdrücklich davor warnt oder aufzeigt, wie wichtig der Krieg für die Dolendeckelvarietät ist: Der subversive Witz steckt an.
Zum Abschluss schüttet Ron Dideldum Drachensaat über Zofingen aus. Im Schlepptau des feuerspeienden und rauchdampfenden Drachen Eugen geleitet er unter Polizeischutz einen bunten Umzug quer durch die Altstadt ins Oxil.
An diesem Tag hat sich so manches verschoben in Zofingen. So flüchtig die Aktionen waren, so bleibt – zumindest für die Beteiligten – doch ein Hauch davon zurück.