Pflege-Initiative: Kritik an «populistischer» Parole der Grünliberalen

Das Klatschen während der Coronapandemie fürs Pflegepersonal war offenbar doch nicht nur für die Galerie. Das Wohlwollen gegenüber Pflegerinnen und Pflegern war selten grösser als heute. In einer Umfrage von Tamedia befürworten 82 Prozent der Bevölkerung die Pflege-Initiative, über welche die Schweiz am 28. November abstimmen wird. Sie fordert eine Ausbildungsoffensive, bessere Arbeitsbedingungen, um Berufsausstiege zu verhindern, und mehr Pflegefachpersonal auf den Schichten, um die Pflegequalität zu garantieren.

Die Mitte-Partei mit Stimmfreigabe

Auch bei den Parteien sind diese Sympathien zu spüren. Nachdem die Delegierten der Mitte-Partei im September Stimmfreigabe für die Pflege-Initiative beschlossen haben, entschieden sich die Delegierten der Grünliberalen (GLP) am Samstag gar für die Ja-Parole. Noch im Parlament hatten die Fraktionen beider Parteien mit deutlicher Mehrheit für den Gegenvorschlag des Bundesrats und damit gegen die Initiative gestimmt.

Die hohen Zustimmungswerte zur Initiative hätten die GLP offenbar kippen lassen, vermutet FDP-Nationalrat Philippe Nantermod. «Das ist eine sehr populistische Haltung», sagt der Walliser, der für den Gegenvorschlag weibelt und die Nein-Kampagne gegen die Pflegeinitiative orchestrieren wird. Das passe gar nicht zu GLP, die sich sonst immer rühme, eine klare Linie zu haben. «Sie sagen immer, sie seien wirtschaftsfreundlich – doch diese Initiative ist das Gegenteil davon», sagt Nantermod.

Bei einer Umweltabstimmung hätte er das Ausscheren nachvollziehen können. «Dies hat aber nichts mit dem Klima zu tun», sagt er. Das sei eine rein wirtschaftliche Angelegenheit. So müsste bei einer Annahme der Bund die Löhne im Pflegebereich fixieren. «Das passt nicht zur Schweiz», sagt der FDP-Politiker.

Als «traurig» bezeichnet er deshalb den Entscheid der GLP, auch für die Stimmfreigabe der Mitte-Partei hat er wenig Verständnis. Aufgeben wolle er aber sicher nicht. Die Kampagne für den Gegenvorschlag und gegen die Initiative startet diese Woche – voraussichtlich am Freitag. Der Gegenvorschlag sieht in erster Linie eine Ausbildungsoffensive vor. Bund und Kantone sollen in den nächsten acht Jahren knapp eine Milliarde Franken in die Ausbildung investieren. Zudem sollen Pflegende künftig einfacher abrechnen können.

GLP-Präsident Jürg Grossen lässt die Kritik abperlen. «Wir haben mit dem Rückzug der Initiative gerechnet», sagt er. Als dies nicht geschah, habe man die Initiative nochmals im Vorstand debattiert und sei zu einem anderen Schluss gekommen. «Wir waren der Meinung, dass es mehr als den Gegenvorschlag braucht», sagt Grossen.

Seit dem Vorstandsentscheid sind mehrere Parlamentarierinnen dem überparteilichen Ja-Komitee beigetreten. Der Entscheid sei aber auch im Vorstand nicht einhellig gewesen. Rund Dreiviertel haben für ein Ja gestimmt, ein Viertel dagegen. So wie an der Delegiertenversammlung.