
Pizza fürs Volk, Ferraris für die Strohleute: Das steckt hinter der Schweizer Maske der Mafia
Das Geschäft mit Pizza in der Schweiz muss recht gut laufen. Im September 2018 war der Wirt einer Pizzeria in Muri AG dabei, sich schon wieder einen neuen Ferrari zuzulegen. «Ein Bekannter aus Zug» sei daran, ihm einen Ferrari 488 Pista zu besorgen, sagte der Wirt zu einem Bekannten. Nächstes Jahr wolle er sich noch einen Ferrari Portofino anschaffen. 233’0000 Franken koste das Gefährt, «aber man müsse sich verpflichten, das Auto für mindestens 60’000 Franken im Ferrari-Atelier zu konfigurieren».
Der Bekannte, dem der Pizza-Mann das erzählte, war, dumm für ihn, ein Undercover-Agent der Bundespolizei Fedpol. Dieser notierte alles fein säuberlich, nachzulesen ist es in Akten zur Operation Imponimento, mit der italienische und Schweizer Ermittler gegen den italienischen ‘Ndrangheta-Clan der Anello-Fruci aus Filadelfia, Kalabrien, vorgingen.
Verhaftung im Juli 2020 in Kalabrien
Auch der befreundete Ferrari-Händler in Zug muss schöne Geschäfte gemacht haben. Die Auslieferung des Portofino war für Juli 2019 geplant, jene des 488 Pista für Februar 2020. Gerade noch rechtzeitig: Im Juli 2020 wurde der Wirt im Zug der Operation Imponimento in Kalabrien verhaftet, wo er immer noch einsitzt.
Ferraris schätzte auch Maria, die Schwester des Bosses der Anello, die in der Schweiz lebte. Auf ihrer Facebook-Seite posiert sie, selbst Witwe eines Mafiabosses, immer wieder vor den Nobelkarossen. Auch ihr Freund, ein im Raum Zürich-Aargau sehr beliebter italienischer Koch, der hier eine Reihe von Pizzerien betrieb und regelmässig damit Konkurs ging, fuhr laut Insidern mit Vorliebe Ferrari. Einmal einen gelben, wie man sich im Kanton Aargau erinnert.
Einmal fuhr er mit einem grünen Ferrari nach Kalabrien zur Mafia. Er parkte ihn zum Ärger des Bosses direkt vor dessen Haus. Zur Strafe musste er beim Essen am Katzentisch sitzen.

‚Ndrangheta-Boss Rocco Anello
Auch der Boss Rocco Anello selbst besass laut einem reumütigen Mafioso einen Ferrari:
«Er kaufte ihn in der Zeit, als er Drogenhandel aus der Schweiz betrieb.»
Jetzt sei das Auto bei einem Bekannten in Kalabrien versteckt. Pizza fürs Volk, Ferrari für die Mafia. Und dahinter profitierte, landauf landab, ein ganzes Biotop von Strohleuten, Handlangern und Geschäftemachern vom Geldsegen.
Aargauer Bauunternehmer wäscht unkompliziert Bargeld
Denn die Millionen Franken, die aus Kokainhandel, Waffenhandel, Erpressung, Raub, Menschenhandel, Falschgeldfabrikation und vielen weiteren kriminellen Aktivitäten stammen, wollen gewaschen, angelegt und vermehrt werden. Da war etwa ein Aargauer Bauunternehmer, der Häuser aufstellte. Dieser gab in Anwesenheit des V-Mannes an, bis zu 50’000 Franken sei es für ihn «kein Problem, Bargeld anzunehmen». Bei grösseren Beträgen «seien Überweisungen besser». Wer 50’000 Franken einzahle, erhalte 65’000 Franken zurück.
Das Geschäftsmodell: Der Unternehmer kauft mit dem Geld Land, stellt das Gebäude auf, zahlt den Investoren ihren Einsatz samt 30 Prozent «Zins» zurück.
Auch ein gewisser Gianni war Gold wert für den Clan. Die Waschmaschine des Finanzfachmanns war Liechtenstein, eine angeblich regierungsnahe Bank. Als ein Kalabreser im Aargau bedeutete, man müsse aus schwarzem Geld weisses machen, gab Gianni an, die Herkunft des Geldes interessiere ihn nicht. «Wenn man Geld in ihrer Bank anlege, sei es am nächsten Tag sauber», notierte der Fedpol-Agent.
Das Fedpol führt eine Mafia-Karte, die laufend aktualisiert und ergänzt wird.

Liechtenstein wäscht weisser: Am Tag darauf ist alles sauber
Als Referenz nannte Gianni einen Italiener aus Pfäffikon ZH, der einen zweistelligen Millionenbetrag bei ihm gewaschen habe. Das System sei «total simpel»: Jemand, der nicht durch Interpol gesucht wird, müsse ein Konto etwa als Beteiligter einer Erdölfirma eröffnen. Er zahle den gewünschten Betrag ein. Bereits am nächsten Tag könne er maximal die Hälfte davon abheben, das Geld sei jetzt gewaschen. Den Rest müsse man mindestens sechs oder sieben Monate auf dem Konto liegen lassen. Das Geld werde in Diplomatenfahrzeugen transportiert. Alles hat seinen Preis: 15 Prozent des Einsatzes würden als Gebühren verrechnet. 200’000 bis 300’000 Franken sei in der Regel der Mindestbetrag für solche Operationen. Wenn es nur 100’000 seien, lohne sich das nicht. Solch kleine Beträge könne er bei einem Banker waschen, mit dem er oder ein Kollege zur Schule ging.
Eine halbe Million Franken bei der UBS «verloren»
Allerdings verloren Mafiosi auch viel Geld. Mimmo, Unternehmer im Schweizer Bausektor, klagte einmal, er habe mit scheinbar sicheren Geschäften schon viel Geld verloren. In Innsbruck hatte er 700’000 (vermutlich Euro) in einem mit Handabdruck gesicherten Schliessfach deponiert. Als er das nächste Mal Geld holen wollte, sei «die Kontaktplatte rot geworden und seine Hand abgelehnt worden». Darauf habe er es mit dem österreichischen Bundesfinanzamt zu tun bekommen. Anderen Dunkelmännern ging es nicht besser.
Der Pizza-Wirt will «500’000 Franken bei der UBS verloren haben». Ein Baggerunternehmer, Übername «Bistecca», zu Deutsch Steak, Vertrauter des Clanbosses Rocco Anello, verlor angeblich 300’000 Franken, weil ein Nachtclub schlecht geführt war. Er kümmerte sich laut Ermittlungen einst um Nachtclubs des Clan-Chefs in der Schweiz, konkret in Bülach und Winterthur ZH sowie Schaffhausen. Viel Geld habe er aber auch mit teuren Autos und Prostituierten verjubelt, klagte der Mann.
Der Boss, ein «Mann mit einem grossen Herzen»
Um zu Geld zu kommen, verkaufte der Baggerfahrer dem Undercover-Agenten 2019 ein Schweizer Sturmgewehr für 2000 Franken. Es war, zusammen mit sechs anderen Sturmgewehren des Typs SIG Fass 90, im Frühling 2015 bei einem Einbruch im Schützenhaus von Worben BE gestohlen worden. Schusswaffen jedes Kalibers sind allgegenwärtig bei den Mafia-Helfern in der Schweiz. Und auch bei deren halbwüchsigen Sprösslingen, die, auch das erfuhr der Undercover-Agent bei seinen Besuchen, Schritt für Schritt ins Geschäft ihrer Väter und Onkel eingeführt werden. Einmal suchte ein Aargauer Mafioso eine seiner Waffen. Sein Sohn habe sie wohl an sich genommen, vermutete er.
Der Mafiaboss schaute gut zu seinen Leuten, wie der Pizza-Wirt erzählte. Er habe ein grosses Herz. Zum Schnäppchenpreis konnte man bei ihm etwa Rolex-Uhren, Goldringe oder wertvolle Goldketten beziehen. Das Zeug habe der Boss von Leuten, die Schulden bei ihm hätten.