
Politiker will Obdachlose nicht auf der Gasse frieren lassen
Am Samstag zeigte sich der Winter noch mal von seiner garstigen Seite. Der Schneefall sorgte vor dem Gotthardtunnel für ein Verkehrschaos. Während er ein paar Urlaubern die Osterfreude dämpfte, sitzt der lange Winter anderen noch tief in den Knochen: den Obdachlosen. Das vermutet zumindest Grossstadtrat Marco Müller (Grüne). Er hat ein Postulat eingereicht mit der Aufforderung, der Stadtrat solle prüfen, ob künftig den Menschen auf der Gasse im Winter täglich zwischen 17 und 20 Uhr eine Infrastruktur zur Verfügung gestellt werden könne. In dieser sollen sie sich an der Wärme aufhalten, eine warme Mahlzeit zubereiten oder beziehen und sanitäre Anlagen nutzen können. Diese Lücke besteht nämlich: Um 17 Uhr schliessen die Angebote des Vereins Kirchliche Gassenarbeit wie die GasseChuchi oder das Paradiesgässli. Die Notschlafstelle des Vereins Jobdach öffnet in der Winterzeit erst um 20 Uhr. Offizielle Angebote zwischen diesen Uhrzeiten gibt es keine.
Obwohl die einzelnen Angebote ziemlich gut aufeinander abgestimmt seien und ein reger Austausch zwischen den privaten Akteuren und der Stadt Luzern gepflegt werde, habe der zu Ende gehende Winter gezeigt, dass es diese Lücke gebe. «Es ist bedauerlich, dass obdachlose, sozial benachteiligte und arme Menschen in dieser kalten Zeit drei Stunden auf der Gasse verbringen müssen», schreibt Müller. Er kennt das Bedürfnis aus erster Hand. Müller ist Präsident von abseits Luzern, einem Verein, der alternative Stadtführungen in Luzern organisiert. Ehemalige Obdachlose, Armutsbetroffene, Drogensüchtige, Stadtoriginale und sozial benachteiligte Menschen begleiten dabei Stadtführungen und erzählen ihre ganz persönliche Geschichte. Er stehe dabei viel mit Menschen in Kontakt, die Unterstützungsangebote der Nothilfe in Luzern beanspruchen, sagt Marco Müller auf Anfrage. Sie hätten ihn auf die Lücke aufmerksam gemacht.
«Postulat ist gut gemeint, aber …»
Für Fridolin Wyss, Geschäftsleiter der Gassenarbeit, ist das Postulat gut gemeint, der Bedarf aber schlecht abgeklärt. «Die Personenzahl, die nicht in die Wärme gehen kann, ist in der Stadt Luzern äusserst gering. Wir sprechen hier von drei bis fünf Personen.» Gerade im Winter seien Notschlafstellen oft nicht voll, weil da die Solidarität unter den Menschen spiele. Viele der Klienten könnten beispielsweise bei Freunden übernachten. Zudem erfriere man nicht, wenn man drei Stunden draussen sei. Und am Bahnhof hätten sie einen geschützten Unterstand, sagt Fridolin Wyss, der sich unter anderem dafür einsetzt, dass man Obdachlose in der Öffentlichkeit wahrnimmt. «Daher ist meines Erachtens keine neue Infrastruktur nötig.» Um den Bedarf aber vertiefter abzuklären, könne die Notschlafstelle für eine Probezeit bereits um 19 Uhr geöffnet werden.
Die Nachfrage nach einem solchen Angebot sei da, widerspricht Marco Müller. Mit der Idee, die Notschlafstelle eine Stunde früher zu öffnen, sei die Forderung nicht erfüllt, weil dann nach wie vor zwei Stunden bleiben, die die Obdachlosen in der eisigen Kälte verbringen müssten, sagt Müller.
Marco Müller möchte ein ergänzendes, neues Angebot, das von der Stadt selber betrieben oder von ihr an eine andere Institution delegiert wird. Weil das Angebot nicht nur Menschen aus der Stadt Luzern betreffe, sondern auch aus den übrigen Gemeinden, soll auch der Einbezug des Kantons geprüft werden, schreibt er in seinem Postulat namens der Grünen-Fraktion im Grossstadtrat.
Bis zum 15. September muss der Stadtrat nun dazu Stellung nehmen. Vielleicht wird dann bereits die erste winterliche Brise wieder über die Stadt fegen.