
Restaurants sollen bald öffnen: Nationalräte wollen dem Bundesrat das Heft aus der Hand nehmen
Das Parlament meldet sich zurück. Genehmigten die Volksvertreter in den letzten Monaten vor allem nachträglich die Coronabeschlüsse des Bundesrates, so mehren sich die Zeichen, dass National- und Ständerat die Coronapolitik aktiver mitgestalten wollen.
Verbunden damit ist eine deutliche Kritik am aktuellen Pandemiekurs der Landesregierung. «Der Bundesrat hat insgesamt einen guten Job gemacht. Wegen zu vieler Widersprüchlichkeiten hat sich jetzt breiter Widerstand, auch in den Kantonen, geregt», sagt Mitte-Fraktionschefin Andrea Gmür.
Jüngstes Beispiel ist die nationalrätliche Wirtschaftskommission. Sie will dem Bundesrat das Heft aus der Hand nehmen und die Öffnungen rascher vorantreiben. Restaurants, Fitnesscenter oder Kultureinrichtungen sollen bereits am 22. März öffnen. Das will die Kommission ins Covid-Gesetz schreiben, über das in der nun beginnenden Frühlingssession beraten wird. Es sei «angesichts der positiven Entwicklung nicht zu verantworten, das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben weiterhin auf Sparflamme zu halten», hat die Kommission am Samstag mitgeteilt.
SP kritisiert: Parlamentarier «spielen sich als Gesundheitsexperten »auf
Der Entscheid fiel, nach einer offenbar emotionalen Diskussion, knapp; mit zwölf gegen elf Stimmen. Daneben ruft die Kommission den Bundesrat auf, die Fünf-Personen-Regel in Innenräumen per sofort aufzuheben. Der Bundesrat will ab dem 22. März die Öffnung von Aussenbereichen der Restaurants ins Auge fassen. Bei zu schnellen Öffnungen drohe ein Jo-Jo-Effekt, sagte Bundespräsident Guy Parmelin im Interview mit der «Schweiz am Wochenende».
Dass das Parlament nun die tagesaktuelle Politik des Bundesrates mitgestalten will, sieht man bei der SP skeptisch. Die Partei kritisiert, dass sich die Kommissionsmitglieder «als Gesundheitsexperten aufspielen» würden und den Handlungsspielraum der Regierung einschränkten. Dabei sei jetzt nicht absehbar, wie die epidemiologische Lage in einigen Wochen aussehe. GLP-Nationalrat Martin Bäumle warnt auf Twitter, dass die Kommission so möglicherweise die dritte Welle zu verantworten habe. Und Grünen-Präsident Balthasar Glättli spricht von einer Entmachtung des Bundesrates «durch die bürgerliche Parlamentsmehrheit.»
Mitte-Fraktion will Lockerungen, aber dem Bundesrat die Hände nicht binden
Entscheidend sein wird die Position der Mitte. Fraktionschefin Andrea Gmür unterstützt die Forderungen nach rascheren Öffnungsschritten. Die Luzerner Ständerätin sagt:
«Es braucht jetzt einen Strategiewechsel hin zu mehr Lockerungen, mehr Testen und Impfen und einem Digitalisierungsschub. Wir müssen an die KMU in Existenznot und an die Jungen denken.»
Die Situation sei nicht mehr dieselbe wie vor einem Jahr, als das Gesundheitssystem vor dem Kollaps stand. Trotzdem sagt sie: «Ich bin überzeugt, dass die Mehrheit der Fraktion den Antrag nicht unterstützen wird.» Denn es sei der falsche Weg: Das Parlament solle nicht Öffnungsschritte ins Gesetz schreiben. Die tagesaktuellen Entscheide müsse weiterhin der Bundesrat aufgrund der Richtwerte treffen, so Gmür.
Ihre Fraktion unterstützt deshalb eine von Mitte-Nationalrat Martin Landolt angestossene Erklärung des Nationalrates an den Bundesrat – mit der Forderung, rascher zu lockern. Damit werde auch ein Strategiewechsel gefordert, aber «ohne dem Bundesrat die Hände zu binden», so Gmür.
Wirtschaftskommission will Maulkorb für Covid-Taskforce
Einigen Bundesräten soll sie schon länger ein Dorn im Auge sein. Die wissenschaftliche Taskforce äussert sich regelmässig – und vertritt oft nicht die Haltung der Regierung, sondern plädiert für strengere Massnahmen. Nun möchte die Wirtschaftskommission des Nationalrates, dass nur noch Bundesrat und Parlament die Öffentlichkeit über die Covid-19-Massnahmen informieren, nicht mehr die Taskforce. Dies hat die Kommission am Freitag mit 13 gegen 10 Stimmen beschlossen. Die «mediale Kakofonie» solle enden, hielt etwa FDP-Nationalrat Marcel Dobler (SG) fest. Der Kommissionsentscheid sorgte unter dem Stichwort Maulkorb für Empörung in den sozialen Medien. Als «brandgefährlich» bezeichnete ihn SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer. «Wenn die Fakten der eigenen Ideologie widersprechen, versucht man den Experten einen Maulkorb zu verpassen», schrieb der renommierte Klimaforscher Reto Knutti auf Twitter. «Wenn die Wissenschaft nicht einordnet, werden andere mit persönlichen, finanziellen oder politischen Interessen ihre Interpretationen liefern.» Die Politik müsse sich nicht an die Empfehlungen der Taskforce halten. «Aber den Diskurs muss sie aushalten.» (lfh)