Roche und Novartis verhindern Verkauf von günstigerem Medikament – jetzt reagieren Politiker

Für die beiden Pharmaunternehmen Novartis und Roche ist es ein Milliardengeschäft. Für die Prämienzahler in der Schweiz dagegen ist es eine Mehrbelastung von 80 Millionen Franken pro Jahr. Der Fall, der von einigen Kritikern als Skandal bezeichnet wird, dreht sich um zwei Medikamente. Mit beiden lässt sich eine Form von Altersblindheit namens AMD behandeln.

Die Präparate namens Avastin und Lucentis wurden von Roche entwickelt. Offiziell zugelassen ist jedoch nur das deutlich teurere Lucentis zur Bekämpfung von AMD. Das markant günstigere Avastin wirkt zwar auch gegen die Krankheit, Roche hat jedoch bis heute für das Medikament keine Zulassung für die Behandlung von AMD beantragt. Novartis kommt ins Spiel, weil der Pharmakonzern Lucentis ausserhalb der USA vermarktet und vertreibt.

Der Preisunterschied ist massiv. Lucentis kostet in der Schweiz über 13-mal mehr als Avastin. Dennoch wird in der Schweiz Avastin kaum gegen AMD eingesetzt, wie Zahlen des Krankenversicherers Helsana zeigen. Dies steht im starken Gegensatz zum Ausland. In Deutschland etwa wird in über 42 Prozent der Fälle Avastin verwendet.

Würde die Altersblindheit AMD in der Schweiz so behandelt wie in Deutschland, liessen sich hierzulande 80 Millionen Franken einsparen. Dies hat Mathias Früh berechnet. Er ist Leiter Ökonomie und Politik bei Helsana. In dieser Berechnung ist ein weiteres Medikament der Firma Bayer enthalten, auch dieses könnte mit Avastin ersetzt werden.

«Die Ärzte können nur verlieren»

Wieso wird also Avastin praktisch kaum gegen Altersblindheit eingesetzt? Da das Medikament zum Einsatz gegen die Krankheit in der Schweiz nicht zugelassen ist, dürfen die Krankenkassen die Kosten nicht zurückerstatten. Zudem kann Avastin nicht direkt verabreicht werden. Das Medikament wird in einer Durchstechflasche geliefert und muss deshalb in Spritzen umgefüllt werden. Tut dies ein Arzt oder Apotheker in der Schweiz, so trägt er die rechtliche Verantwortung für das Produkt und nicht mehr der Hersteller.

Darüber hinaus ist die Marge für den Arzt bedeutend tiefer, wenn er Avastin einsetzt. Schliesslich muss der Patient darüber aufgeklärt werden, dass er nicht das offiziell zugelassene Mittel erhält. Ein Arzt, der anstelle von Lucentis das günstigere Avastin verwende, könne in finanzieller Hinsicht also nur verlieren, sagt Mathias Früh.

Philippe Nantermod ist Nationalrat der FDP Wallis.

Philippe Nantermod ist Nationalrat der FDP Wallis. © Alessandro Della Valle / Keystone

Dennoch: In den vergangenen Jahren haben Politiker mehrfach Anlauf genommen, um den Einsatz von Avastin gegen die Altersblindheit zu fördern. Sie sind allerdings allesamt gescheitert. FDP-Nationalrat Philippe Nantermod versucht es nun noch einmal. Der Vorstoss des Wallisers verlangt, dass die Arzneimittelbehörde Swissmedic eigenständig die Zulassung eines Medikaments erweitern kann. Bislang ist dies nur möglich, wenn der Hersteller dies selber verlangt.

Nationalrätin spricht von einem Skandal

Die Genfer SP-Nationalrtäin Laurence Fehlmann Rielle.

Die Genfer SP-Nationalrtäin Laurence Fehlmann Rielle. © Anthony Anex / Keystone

Die Genfer SP-Nationalrätin Laurence Fehlmann Rielle dagegen will bei der Vergütung ansetzen. Sie fordert in einer Motion, dass die Kosten trotz der fehlenden Zulassung von Avastin für Altersblindheit von den Krankenkassen übernommen werden sollen. Fehlmann Rielle spricht von einem Skandal. In zahlreichen Ländern wie Frankreich, Italien und den USA werde verbreitet Avastin gegen die Altersblindheit AMD eingesetzt.

Der Bundesrat will von beiden Vorstössen nichts wissen, im Parlament wurden sie noch nicht behandelt. Die Umsetzung der Motion von Nantermod sei mit offenen Fragen und Schwierigkeiten verbunden, schrieb der Bundesrat. Bei Ratskollegin Fehlmann Rielle will die Landesregierung zunächst einen Bericht zum Thema abwarten.

Die ablehnende Haltung des Bundesrats verärgert Mathias Früh von Helsana: «Die Regierung torpediert vernünftige Sparvorschläge von Parlamentariern.» Offensichtlich gewichte der Bund die Interessen von­Roche und Novartis höher als das Einsparpotenzial, das man mit einem Gesetzeseingriff erzielen könne. Dennoch stellt Helsana eine klare Forderung. Entgegen dem Vorschlag von FDP-Nationalrat Philippe Nantermod soll nicht nur die Swissmedic die Möglichkeit haben, die Zulassung eines Medikaments zu erweitern. Früh schwebt ein Antragsrecht für Krankenkassen, medizinische Fachgesellschaften und Patientenorganisationen vor. Sie könnten innerhalb eines Verfahrens bei Swissmedic vorstellig werden.

Im Ausland sind Roche und Novartis unter Beschuss

Ganz anders präsentiert sich das Bild im Ausland. So hat die französische Wettbewerbs­behörde Roche und Novartis vergangenen Monat mit 444 Millionen Euro gebüsst. Die beiden Konzerne hätten sich an missbräuchlichen Praktiken beteiligt, um die Marktposition von Lucentis gegen das günstigere Avastin zu verteidigen. Beide Firmen haben Berufung eingelegt.

Ähnliche Vorwürfe erhob die italienische Wettbewerbsbehörde bereits 2014 gegen die beiden Basler Konzerne. Die Italiener forderten eine Busse in Höhe von 183 Millionen Euro. Der Fall ist bis heute nicht abgeschlossen, beide Firmen haben Berufung eingelegt. Novartis sei der festen Überzeugung, dass das Unternehmen korrekt und in Einklang mit allen Vorschriften gehandelt habe. Sowohl Roche als auch Novartis betonen, dass Avastin nicht für die Altersblindheit AMD oder andere Augenkrankheiten entwickelt wurde und entsprechend auch in keinem Land dafür zugelassen sei.

Direkt ins Auge

Das Medikament Lucentis wurde wie das Krebsmittel Avastin von der Roche-Tochter Genentech entwickelt. Beide Antikörper hemmen das Wachstum von Blutgefässen. Bereits vor der Entwicklung von Lucentis war klar, dass dieser Wirkmechanismus von Avastin nicht nur das Wachstum von Tumoren bremst, sondern auch eine Form der Altersblindheit bekämpfen kann. Die Rede ist von der altersbedingten Makuladegeneration (AMD). Die Krankheit schränkt das Lesevermögen ein, Betroffene erkennen etwa Gesichter nicht mehr richtig, sondern nur noch Umrisse. AMD ist eine der häufigsten Ursachen für die Erblindung älterer Menschen. Lucentis wird mit einer Spritze direkt ins Auge injiziert. (mka)