Roger Lehner, der ruhige Ammann, auf den niemand mehr folgen wird

Allerletzte Attelwiler Gemeinderatssitzung: Gemeindeammann Roger Lehner, Zaneta Hochuli, Simon Hauri, Michel Strub (künftiger Gemeinderat), Markus Baumann und Adrian Lüthy (v.l.). ZVG
Allerletzte Attelwiler Gemeinderatssitzung: Gemeindeammann Roger Lehner, Zaneta Hochuli, Simon Hauri, Michel Strub (künftiger Gemeinderat), Markus Baumann und Adrian Lüthy (v.l.). ZVG

16 Jahre ist es her, als den Attelwilern ein Flyer in den Briefkasten flatterte. Auf dem offensichtlich selbst gebastelten Wahlplakätchen war das Foto des 22-jährigen Jurastudenten Roger Lehner zu sehen, darunter liess er verlauten, dass er gerne Gemeinderat werden wolle. Der Jungspund hatte es verpasst, sich fristgerecht als Kandidat zu melden, und riskierte, dass die Attelwiler gar nichts von ihrem Glück erfuhren. Glück deshalb, weil dringend noch ein Sitz besetzt werden musste. «Etwas schlanker war ich damals», sagt Lehner mit einem Schmunzeln, als er den Bericht über seine Kandidatur in der AZ von damals wieder sieht. 

«Ich hatte mich 2002 ziemlich spontan zur Kandidatur entschieden. Neben dem Studium konnte ich so etwas Praktisches machen, das auch mit der Juristerei zu tun hat», sagt Lehner, heute 39, als er die Tür zu den Räumen öffnet, wo alles begann. Das Gemeindehaus Attelwil, wo er sich als junger Student zum ersten Mal auf einen der fünf Ledersessel im Sitzungszimmer setzen durfte, ab 2010 als Amman am Tischende, ist heute verwaist. Die Verwaltung wurde schon 2016 mit derjenigen von Reitnau zusammengelegt, einzig die Gemeinderatssitzungen fanden noch hier statt. 

Kein leichter Entscheid 

Ab dem 1. Januar ist auch das Geschichte. Attelwil und Reitnau werden mit dem Neujahrs-Prost zu einer Gemeinde, haben einen neu konstituierten Gemeinderat, zu dessen Wahl Attelwils Noch-Ammann nicht angetreten ist. «Ich habe mir lange überlegt, ob ich antreten soll», sagt er, «der Entscheid ist mir schwergefallen.» 

Roger Lehner mag sein Dorf. «Während des Studiums in Basel und jetzt, da ich in Aarau arbeite, schätze ich es als ländlichen Rückzugsort vom Stadtleben.» Hier wird er auch nach der Zeit als Ammann bleiben. Seine Partnerin ist zu ihm aufs Land gezogen.

Die Politkarriere erklärt er aber als beendet, hat keine Ambitionen für den Grossen Rat. Als Kantonsangestellter dürfte er auch nicht als Grossrat gewählt werden. Um einen Stellenwechsel in Betracht zu ziehen, dazu mag der Leiter Rechtsdienst des Gesundheits- und Sozialdepartements seinen Job zu sehr. Kurz nach seiner Anwaltsprüfung kam er in die kantonale Verwaltung. In ein Departement, das die unterschiedlichsten Menschen und Lebenslagen abdeckt: Die Tierhalterin, welcher der Veterinärdienst den Hund weggenommen hat, der Asylsuchende, dem die Sozialhilfe gekürzt wurde, oder das Restaurant, welches gegen das Lebensmittelrecht verstossen hat. Fälle, die unter die Haut gehen können. 

Der ruhige Ammann 

«Man muss lernen, Leute, die sich ungerecht behandelt fühlen, vielleicht aufgewühlt sind, etwas runterzubringen, damit der Fall diskutiert werden kann», sagt Lehner. Eine Fähigkeit, die ihm auch als Ammann sehr zugutekam. Am Ende seiner zweiten Amtsperiode als Gemeinderat traten drei Amtskollegen zurück, auch Ammann Ernst Baumann. Lehner folgte nach. «Der Schritt zum Ammann ist gewiss weniger gross als derjenige vom Bürger zum Gemeinderat», sagt er. 

Als Lehner an der Gemeindeversammlung verabschiedet wurde, lobten ihn die Gemeinderatskollegen dafür, in hitzigen Situationen stets die Ruhe zu bewahren. «Ich bin nicht einer, der schnell wütend wird, auch wenn mich jemand direkt angreift. Wenn doch, dann nehme ich mich selber an der Nase, denn von Gemeinderatsseite braucht es einfach eine gewisse Distanz zur emotionalen Seite des Geschäfts.» 

Nervenkrimi zum Schluss 

Sehr hitzig ging es im Vorfeld zur Fusionsabstimmung zu und her. Mancher Bewohner des viel kleineren Attelwils fürchtete, Heiratskandidat Reitnau würde das Dorf schlucken, die Identität rauben. Die Mobilmachung gegen das Fusions-Ja gipfelte in einem «Nervenkrimi», wie Lehner die Gemeindeversammlung hernach nannte. Das Ja, später auch das Ja an der Urne fielen hauchdünn aus. Auch ihm als Ruhe in Person ist in dieser Zeit die eine oder andere Angstschweissperle von der Stirn gerollt. Persönlich hätte er ein Nein nicht genommen, «eine Gemeindefusionen ist eine sehr emotionale Angelegenheit, da muss man auf solche Reaktionen gefasst sein». 

Welche Gefühle hegt der letzte Ammann Attelwils persönlich vor der Fusion, die sein Dorf Namen und Flagge kosten wird? «Ich mag mein Heimatdorf. Ich definiere es aber nicht über den Namen, sondern über Freunde und Familie. Und die bleiben im neuen Jahr dieselben.»