Rückschlag an der Impffront: Deutsche Kommission empfiehlt AstraZenca-Impfstoff nur für unter 65-Jährige

Europas Hoffnung auf ein nahes Ende der Coronapandemie hat am Donnerstagmittag einen weiteren Dämpfer erhalten. Die Ständige Impfkommission (Stiko), ein deutsches Expertengremium, hat seine Empfehlung für den Astrazeneca-Impfstoff angepasst. Der Impfstoff des schwedisch-britischen Herstellers soll nur an Personen zwischen 18 und 64 Jahren abgegeben werden, schreibt die Stiko in einer Mitteilung. «Zur Beurteilung der Impfeffektivität ab 65 Jahren liegen aktuell keine ausreichenden Daten vor», heisst es in der Begründung.

Schlechte Neuigkeiten für Astrazeneca, dessen Impfstoff in der Europäischen Union und in der Schweiz bislang nicht zugelassen sind. Die zuständige Behörde, die die Zulassung für Europa regelt, will frühestens am Freitag verkünden. Die Behörde Swissmedic, die die Impfstoffprüfung für die Schweiz vornimmt, rechnet «in den nächsten Wochen» mit einer Zulassung.

Droht ein Impfkrieg zwischen der EU und Grossbritannien?

Die Nachricht platzt mitten in eine Phase, in der Europa sowieso schon sauer ist auf den schwedich-britischen Impfstoffhersteller. Denn längst ist klar, dass Astrazeneca seine Lieferverpflichtungen nicht wird einhalten können. Anstatt 80 Millionen wird das Unternehmen der EU im ersten Quartal 2021 höchsten 31 Millionen Impfdosen liefern können.

Das will die EU nicht auf sich sitzen lassen: «Wir stecken in einer Pandemie und verlieren jeden Tag Menschen», sagte Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides am Mittwoch. Astrazeneca habe nicht nur eine vertragliche, sondern auch eine «gesellschaftliche und moralische Verantwortung. «Der Vertrag muss erfüllt und die Impfungen an die EU-Bürger geliefert werden», so die Zypriotin.

Astrazeneca-Chef Pascal Soriot sieht das anders. Seine Firma habe sich im Vertrag mit der EU weniger zu einer bestimmten Liefermenge verpflichtet, sondern lediglich einer «Best Effort»-Lösung zugestimmt, sagte Soriot in einem Interview mit verschiedenen europäischen Zeitungen. Das heisst: Astrazeneca wird sein Bestes geben, die bis zu 400 Millionen Impfdosen termingerecht auszuliefern. Eine Garantie gibt es aber nicht.

Grossbritannien war früher – also wird es auch früher beliefert

Auf Vorwürfe, Astrazeneca würde Grossbritannien bevorzugt mit Impfdosen versorgen, während die EU zurückgestuft wurde, verweist Soriot auf Probleme am Produktionsstandort in Belgien. «Wir sind in Europa jetzt zwei Monate hinter unserem ursprünglichen Plan. Wir hatten auch Anfangsprobleme in Grossbritannien. Aber der Vertrag mit den Briten wurde drei Monate vor dem mit Brüssel geschlossen. Wir hatten dort drei Monate mehr Zeit, um Pannen zu beheben».

Die Retourkutsche aus Brüssel kam umgehend: Der Spruch «wer zuerst kommt, wird zuerst bedient» gelte vielleicht beim Metzger um die Ecke, aber sicher nicht bei dieser Art Beschaffungsverträgen, sagte Gesundheitskommissarin Kyrikaides. Sie verweist darauf, dass die EU Astrazeneca seit Oktober insgesamt 336 Millionen Euro zum Aufbau von Produktionskapazitäten zur Verfügung stelle. Deshalb erwartet Brüssel nun auch, dass Astrazeneca die Produktionsprobleme in Belgien auffängt und Impfdosen aus den britischen Fabriken in Oxford und Staffordshire nach Europa bringt.

«Angesichts der Berichte, dass Astrazeneca vor einigen Wochen Impfdosen von der EU nach Grossbritannien lieferte, als es dort zu Produktionsproblemen kam, wäre das nur logisch», so ein EU-Diplomat. Aus britischen Regierungskreisen aber heisst es, dass die Fabriken im Vereinigten Königreich erst in die EU liefern dürften, wenn die vereinbarten 100 Millionen Dosen für die lokale Bevölkerung produziert seien, wie der «Guardian» berichtet.

Erinnerungen an Deutschlands Masken-Exportverbot werden wach

Artet der Streit um die Impfdosen von Astrazeneca also zum ersten handfesten Konflikt zwischen der EU und Grossbritannien nach dem Brexit aus? Gut möglich. Gesundheitspolitiker im EU-Parlament wie der deutsche CDU-Abgeordnete Peter Liese sprechen Klartext: «Wir wollen keinen Impfstoffkrieg, aber wir werden auch nicht in die Röhre schauen», so Liese gegenüber «T-online». Wie die Gegenmassnahmen aussehen könnten, zeichnet sich auch schon ab: Anfang Woche kündigte die EU-Kommission einen Mechanismus zur Export-Kontrolle von Coronaimpfstoffen an.

Das heisst, alle Impfstoffe, die die EU verlassen, müssen angemeldet werden. Von da ist es nur noch ein kleiner Schritt zu einem eigentlichen Export-Verbot. Dieses würde dann auch die in Belgien produzierte Impfung von Pfizer/BioNtech betreffen, auf die auch Grossbritannien angewiesen ist.

Export-Verbote sind nichts Neues in dieser Pandemie. Im vergangenen Frühling zum Beispiel verhängte Deutschland ein Export-Verbot für Masken und anderes Gesundheitsmaterial. Die Schweiz als Drittland bekam dies schmerzlich zu spüren, als Lastwagen mit Schutzmasken tagelang am deutschen Zoll blockiert waren. Ein mögliches Export-Verbot könnte die Schweiz nun auch bei den Impfstoffen treffen, sofern der Bundesrat keine Ausnahme erwirken könnte. Ein gewichtiges Argument dafür hätte die Schweiz aber in der Hand: Der im Wallis hergestellte Impfstoff von Moderna, auf den die EU sicher auch nicht verzichten möchte.