
Schmückt sich der Bauernverband mit fremden Federn? Bio-Landwirtinnen fühlen sich instrumentalisiert
Simon Lüscher war 2018 Aargauer Bauer des Jahres. Vor wenigen Tagen zierte der 28-Jährige das Titelblatt einer Zeitungsbeilage des Bauernverbands Aargau (BVA). Auf dem Foto trägt er ein Huhn auf der Schulter, auf der Brust das Logo von Bio Suisse. Simon Lüscher ist Bio-Landwirt.
Bio-Bäuerin ist auch die Grünen-Grossrätin Gertrud Häseli. Sie stört sich am Titel-Sujet. Es ehre die Aargauer Biobäuerinnen und Biolandwirte zwar, dass einer ihrer Bauern da zum Zuge gekommen ist, schreibt Häseli Anfang Woche in einem Leserbrief an die AZ.
Hier schmücke sich aber jemand offensichtlich mit fremden Federn. Den Konsumentinnen und Konsumenten werde vorgegaukelt, dass der Aargau ein Biokanton sei, gleichzeitig aber setze der Bauernverband alle Hebel in Bewegung, um Initiativen, die in Richtung weniger Pestizide, mehr Tierwohl und weniger Fleisch- und Milchproduktion gingen, «mit harten Bandagen zu bekämpfen». «Ein ‹Bekenntnis zu Mensch, Tier und Natur im Gleichgewicht› sieht anders aus», resümiert die Grossrätin.
Ein «Biokanton» ist der Aargau tatsächlich nicht. In nur drei Kantonen gibt es anteilsmässig weniger Bio-Landwirtschaftsbetriebe als im Aargau, obwohl dieser viertgrösster Agrarkanton ist. Das entspreche nicht der Entwicklung auf dem Markt, sagen die Grünen. Sie fordern, dass der Kanton die biologische Landwirtschaft mehr fördert.
Bauernverbandspräsident sieht keinen Widerspruch
Bauernverbandspräsident und SVP-Grossrat Christoph Hagenbuch hat für die Kritik von Gertrud Häseli kein Verständnis. Auf Anfrage sagt er: «Wir sind ein Berufsverband und damit für alle Landwirtinnen und Landwirte da, egal ob bio oder konventionell.»
Einen Widerspruch zur Politik des BVA kann er beim Titelbild der Landwirtschafts-Beilage nicht ausmachen.
Gertrud Häseli ist Sekretärin der Organisation Bio-Aargau, die mit Bio-Suisse zusammenarbeitet. Sie sagt: «Wir Bio-Landwirtinnen fühlen uns mit solchen Aktionen instrumentalisiert, für eine Landwirtschaft, die wir nicht unterstützen können.»
Je nach dem sei man froh über die Biobauern, oder man lasse sie fallen. So geschehen im Vorfeld der Abstimmungen über die beiden Agrarinitiativen von letztem Juni.
Bio-Bauern stimmten gegen die Trinkwasserinitiative
Auch die Bio-Bauern hätten sich mit grosser Mehrheit gegen die Trinkwasserinitiative gestellt, sagt Christoph Hagenbuch. Dem Bauernverband selber war die Ablehnung ein grosses Anliegen, was man früh kommuniziert habe.
«Wir haben in unserem Tätigkeitsprogramm für 2021 den Fokus auf die Bekämpfung dieser Initiativen gelegt. Und auch die überwiegende Mehrheit der Bio-Bauern im Verband hat diesem zugestimmt». Ihre Sorge war, dass bei Annahme der Initiative das Preisniveau von Bio-Produkten zusammenbrechen würde.
Unternehmerische Entscheide der Landwirte
«Wir wollen bestimmt nicht die Bauern gegeneinander ausspielen», sagt Christoph Hagenbuch. Der Verband stehe in regem Austausch mit Bio-Aargau und sorge mit diesem gemeinsam für eine vielfältige Landwirtschaft. Der BVA schreibe niemandem vor, wie er zu produzieren habe. Aber er veranlasse, dass seine Mitglieder die Möglichkeit haben, so zu arbeiten, wie sie es innerhalb der gesetzlichen Bestimmungen für richtig halten. «Alles andere ist der unternehmerische Entscheid der Bauernfamilien.» Daraus ergeben sich auch Mischformen, viele Landwirtinnen und Landwirte verzichteten bei einzelnen oder mehreren Produktionszweigen auf Pestizide.
So auch Hagenbuch, er baut herbizidfreies Getreide an. Doch die Trinkwasserinitiative hätte diese Freiheiten verunmöglicht, sagt der Bauer. Andererseits erhalten Bio-Landwirte für ihren Mehraufwand mehr Direktzahlungen als konventionell produzierende. «Auch damit wird der Bio-Landbau gefördert.»
Nach verregnetem Sommer hat es von allem zu wenig
Es sei jedoch heute kaum realistisch, eine Selbstversorgung mit Bio-Lebensmitteln im Aargau anzustreben, zumal der Selbstversorgungsgrad in normalen Jahren auch nur bei 50 bis 60 Prozent liege. Jetzt, in einem durch den nassen Sommer sehr schlechten Landwirtschaftsjahr, wäre es unmöglich. «Nicht nur Bio-Produkte werden nachgefragt, es hat von allem zu wenig», sagt Landwirt Hagenbuch. Dabei sei leider auch klar, dass etwa jene Kartoffeln, die ohne Fungizide angebaut wurden, noch mehr litten als die konventionellen.
«Man kann nicht über Abstimmungen an der Urne oder politische Vorstösse über die Produktionsweise entscheiden, da spielen zu viele Faktoren mit.» Im Bio-Anbau bestehe nach wie vor ein grösseres Risiko für die Landwirte, was zumindest teilweise durch höhere Preise wieder abgegolten werde.
Entscheidend ist das Kaufverhalten
Entscheidend sei am Schluss aber das Kaufverhalten der Konsumentinnen und Konsumenten. «Sie entscheiden jeden Tag an der Ladentheke, was die Landwirtinnen und Landwirte produzieren», sagt der Bauernverbandspräsident.
Hier sind er und Gertrud Häseli sich einig. Würden all jene, die gegen die konventionell anbauenden Landwirtinnen wettern, konsequent Bio-Produkte kaufen, sähe die Landwirtschaft im Aargau anders aus, sagt auch die Grünen-Grossrätin: «Die Bio-Landwirtschaft würde am besten gefördert, wenn alle möglichst Bioprodukte kaufen würden.»
Häseli spürt aber auch etwas Tauwetter, wie sie sagt. Die Bestrebungen für eine nachhaltige, biologische Landwirtschaft nehmen bei den Bauern zu, sagt sie. Und das will sie auch in die Politik tragen. «Wir sollten uns jetzt parteiübergreifend Gedanken für eine neue Agrarpolitik machen.»
Diskussionen über Zukunft der Landwirtschaft
Konkret geht es Gertrud Häseli um sieben Punkte: Diskutiert werden müssten Lenkungsabgaben auf Pflanzenschutzmittel, unfaire Handelspraktiken, faire Preise für Lebensmittel und die Forschungsgelder beim Biolandbau. Weiter, wie die regionale Produzenten und Vermarktungsstrukturen gestärkt werden können und schliesslich die Nachhaltigkeit der gesamten Wertschöpfungskette, woraus sich eine ganzheitliche Ernährungs- und Konsumstrategie ergeben sollte.
Christoph Hagenbuch sagt, dass diese Punkte bereits laufend diskutiert würden. Vieles werde auch schon lange umgesetzt – oder es könne aus diversen Gründen nicht umgesetzt werden.
Die nächste Agrarinitiative steht schon an
Die nächste Agrarinitiative mit Konfliktpotenzial zwischen Biobauern und Bauernverbänden steht bereits an: Bis spätestens März 2023 soll die Massentierhaltungsinitiative an die Urne kommen. Der Schweizerische Bauernverband sagt klar Nein zur Vorlage. Bio Suisse hat die Parole noch nicht gefasst – laut Gertrud Häseli könnte es aber ein Ja werden.