Schöftler Pfarrerin wird verabschiedet: «Nottwil war meine schwierigste Aufgabe»

Als Rosemarie Müller vor fast 14 Jahren ihre Pfarrstelle in der reformierten Kirchgemeinde Schöftland antrat, kehrte sie zurück an Schauplätze ihrer Kindheit. Die Familie, die in Biel wohnte, besuchte oft die Grosseltern in Kirchleerau. Dann ging man runter nach Schöftland zum Metzger, in die Apotheke und natürlich auf den Jahrmarkt am 1. Mai – «wo ich auf die Schifflischaukle gehen durfte». Die Rückkehr ins Suhrental, mit dem sie so viele schöne Erlebnisse verband, war ihre letzte Pfarrstelle. Am 13. Juni hält sie in der Kirche Schöftland ihren Abschiedsgottesdienst.

«Ich hätte nicht gedacht, dass ich einmal so nahe beim Dorf meiner Grosseltern arbeite», sagt sie, als sie im Chor der Kirche sitzt. Doch bereits ihre allererste Pfarrstelle war eine andere, als sie sich als Theologiestudentin in Bern, später im amerikanischen Richmond, vorgestellt hatte. Geprägt von modernen Ideen, auch von den vier Jahren am Union Presbyterian Seminary, fand sie sich als junge Vikarin 1983 in der Kirchgemeinde von Grindelwald wieder. Doch wider Erwarten hatten die Berner Oberländer nicht viel einzuwenden gegen sie. Als es während ihres Vikariats zu einem Abgang kam, fanden die Kirchgänger, sie könnten doch dieses Fräulein Pfarrer behalten, dann wisse man wenigstens, was man kriege.

Zu ihrer ersten Anstellung im Aargau kam sie, weil sie hier ihre Traumstelle gesehen hatte, die exakt zu ihrer amerikanischen Spezialisierung als Spitalseelsorgerin passte: Zwei kombinierte Seelsorge-Teilzeitpensen im Kantonsspital Aarau und im «Lindenfeld» in Suhr. Eine Aufgabe, bei der man vom einen oder anderen Patienten aus dem Zimmer geschickt wird, wünscht sich nicht jeder. Rosemarie Müller aber suchte gerade das. Ein feines Herantasten an die Patienten, nie Druck ausüben, einfach zuhören, wenn dies jemand wollte.

Die Sorgen und die Schicksale der Gegenüber berühren

Danach kam das Paraplegiker-Zentrum Nottwil, «die schwierigste Aufgabe, die ich als Pfarrerin hatte». Die Seele von Menschen zu stützen, während sie nach einem Unfall wieder ins Leben zurückkehren, ist erfüllend, aber fordert gleichzeitig viel. Sie sagt: «Ich kann nicht so viel Distanz von meinem Gegenüber nehmen, damit mich seine Sorgen und Schicksale nicht berühren.»

Viel gelernt habe sie von den Patienten in Nottwil. Manche von ihnen melden sich heute noch bei ihr.
Als sie 2007 nach Schöftland kam, zu deren Kirchgemeinde auch Hirschthal, Holziken, Staffelbach und Wittwil sowie Bottenwil gehören, stand sie zum ersten Mal seit langem wieder vor einer Kirchgemeinde. Nicht mehr frisch ab Uni, sondern als reife Frau, deshalb war ihr der Schwerpunkt Seniorenarbeit im Stellenprofil ins Auge gestochen.

Erfahrung hatte sie vom «Lindenfeld» schon, hinzu kamen neue wie etwa das Organisieren von Seniorenferien. Besonders gefreut habe sie sich, wenn sich dabei neue Freundschaften ergaben oder bestehende gefestigt hätten. Etwa, wenn zwei sich Ende der Woche versprachen: «Wenn wir wieder zu Hause sind, suchen wir noch zwei und machen zum Jassen ab.» Sie hielt spezielle Gottesdienste für Demenzpatienten ab, «ganz anders als sonntags in der Kirche». So vertraut sie mit Themen des Alters war, so fremd fühlte es sich an, als Rosemarie Müller vor über einem Jahr ihren eigenen Mann verlor. Corona mit den entsprechenden Einschränkungen machte es noch schwerer, den Verlust zu verarbeiten: «Alle mussten wir bei der Beerdigung Abstand halten, und so kam es mir vor, als stehe ich ganz alleine am Grab.» Auf die Verarbeitung des Todes eines Angehörigen, weiss die Pfarrerin, kann auch jahrelange Seelsorgearbeit nicht vorbereiten, «die eigene Erfahrung ist eine völlig andere».

Die Kirche macht nicht viel Werbung

Auch den laufenden Austritten von Reformierten muss die Pfarrerin einer Kirchgemeinde ins Auge sehen. Die Tendenz, die auch tiefere Steuereinnahmen bedeutet, wird unter anderem in der Pensenkürzung der Pfarrstellen deutlich. Nach der Pensionierung von Rosemarie Müller fallen 60 Prozent weg, von 295 Prozent bleiben deren 235. In der Seniorenarbeit engagieren sich künftig Marcel Hauri und die Pfarrpersonen Daniel Hintermann, Dörte Gebhard und voraussichtlich ab Herbst Christine Bürk.

«Die Kirche ist traditionell keine Institution, die viel Werbung macht», sagt Rosemarie Müller. So wüssten die meisten nicht, was die Kirche alles biete. Eine Kampagne im grossen Stil sei aber nicht die Lösung. «In der Kirche läuft viel über persönliche Beziehungen», weiss sie, «davon hängt vieles ab, und das lernt man nicht im Theologiestudium». Die Menschen müssten mehr eingebunden werden. Eine intensivere Beteiligung stärke auch die Kirchgemeinde. Sie ist sich bewusst, dass das einfacher gesagt ist als getan. Unmöglich ist es jedoch nicht, das zeigen die Freiwilligen, auf welche die Kirchgemeinde zurückgreifen kann, sei es beim Fahrdienst, im Besuchsdienstkreis oder bei der Kinderwoche. Weitere Schritte in Richtung «Beteiligungskirche» sind geplant.