
Schulden der Aargauer Gemeinden klettern in die Höhe – das sind die 10 reichsten und ärmsten


Vor einem Jahr meldete die AZ, dass die Aargauer Gemeinden ihre Schulden innert Jahresfrist auf 326 Millionen Franken verdoppelt haben. Jetzt wird bekannt: Die Schulden sind letztes Jahr weiter angestiegen. Und dies, obwohl die Rechnungen der Gemeinden laut neuster Statistik der Gemeindeabteilung des Kantons Aargau deutlich besser ausfielen.
Mit 1,86 Milliarden Franken waren die Fiskalerträge höher als je zuvor. Konkret lagen die Einnahmen um 63 Millionen Franken über den Erwartungen der Gemeinden. Diese stehen damit insgesamt besser da als 2016. Erst recht deswegen, weil die Steuern im Jahr 2016 zum Schrecken der Gemeinden erstmals seit langem leicht tiefer ausgefallen waren als im Jahr davor.
Das Finanzierungsergebnis sei sowohl durch einen tieferen Finanzaufwand als auch einen höheren Finanzertrag positiv beeinflusst worden. Reichlin: «Über die Gesamtheit der Gemeinden kann ein positives Gesamtergebnis von rund 144 Millionen Franken ausgewiesen werden.» Die mehrheitlich positive Entwicklung schlägt sich auch in den einzelnen Ergebnissen nieder. So hat sich die Zahl der Gemeinden mit einem Defizit (Aufwandüberschuss) gegenüber dem Vorjahr von 66 auf 42 reduziert. Umgekehrt heisst das auch, dass erfreulicherweise rund 80 Prozent aller Aargauer Gemeinden 2017 einen Überschuss erzielten. In Zahlen gab es bei exakt 171 der letztes Jahr noch 213 Gemeinden ein Plus.
Investitionen rückläufig
Yvonne Reichlin verweist auf die hohen Investitionsausgaben der vergangenen Jahre. Wie entwickelten sich diese letztes Jahr? Laut Marc-Olivier Schmellentin, Leiter Finanzaufsicht Gemeinden im DVI, wurden 2017 in den Gemeinden 374 Millionen Franken investiert. Das Volumen ist damit gegenüber den Jahren 2014, 2015 und 2016 rückläufig. Laut Schmellentin wirkt sich die positive Entwicklung in den Erfolgsrechnungen der meisten Gemeinden auch positiv auf die Selbstfinanzierung der Investitionen aus. Diese zeigt im Vergleich mit den vergangenen sieben Jahren einen neuen Höchststand. Der Selbstfinanzierungsgrad liegt bei knapp 80 Prozent.
600 Franken Schulden pro Person
Trotz der markant höheren Selbstfinanzierung konnten die Gemeinden nicht alle Investitionen aus eigener Kraft tragen, was laut Schmellentin «konsequenterweise zu einem weiteren Anstieg der Verschuldung führt». Die Nettoschuld über alle Aargauer Gemeinden hat sich innerhalb eines Jahres von 326 Millionen Franken auf 402 Millionen Franken erhöht. Der Anstieg falle allerdings deutlich geringer aus als in den vergangenen zwei Jahren. Aber: Die Verschuldung pro Kopf steigt um rund 100 Franken auf 600 Franken.
Trotzdem nochmals die Frage an Schmellentin: Warum steigen die Schulden, obwohl die Gemeinden klar mehr Geld eingenommen haben als erwartet? Der grössere Mittelzufluss habe nicht ausgereicht, um die getätigten Investitionen zu bezahlen, sagt der Gemeindefinanzspezialist des Kantons: «Wenn dies der Fall ist, muss Geld aufgenommen werden und die Verschuldung steigt.»
Warum 60 Millionen Mehrertrag?
Doch wie beurteilen die Gemeinden selbst die Entwicklung? 2016 lag deren Fiskalertrag trotz allem rund 60 Millionen Franken über den Budgets. Renate Gautschy, Präsidentin der Gemeindeammännervereinigung, sagte damals, die Ergebnisse bestätigten, «dass die Gemeinden sehr objektiv budgetieren».
Wirklich? Auch diesmal liegt der Ertrag um rund 60 Millionen Franken höher. Wie ist dies zu erklären? Es sei zu bedenken, sagt Gautschy, dass die Gemeinden ihre Budgets für 2017 schon im Mai 2016 erstellen mussten: «Damals hingen noch düstere schwarze Wolken am Himmel, der Euro war tiefer, ein Sparpaket beim Kanton mit ungewissen und unterschiedlichen Auswirkungen auf die einzelnen Gemeinden war zu erwarten.» Zudem sei die Wirkung des neuen Finanz- und Lastenausgleichs nicht im Detail abzuschätzen gewesen. Ausserdem liessen sich Grundstücks- und Erbschaftssteuern praktisch nie mit höchster Genauigkeit voraussagen.
Bund und Kanton hätten mit den gleichen Unbekannten zu arbeiten und könnten für 2017 die gleichen positiven Auswirkungen vermelden, gibt Gautschy weiter zu bedenken. Die Gemeinden rechneten mit viel weniger Einnahmen, mussten und müssen aber
ihre Infrastrukturen trotzdem erneuern.
Gautschy: Zu viele Schulreformen
Wo sieht Renate Gautschy höhere Kosten auf die Gemeinden zukommen? «Ich beobachte einen Anstieg der Kosten für das Sozialwesen in eine unbekannte Dimension. Auch die Restkosten von Sonderschulen und Heimen steigen ununterbrochen». Zudem belasteten «die andauernden und unendlichen Veränderungen in den Schulen die Budgets». Das Umpflügen der Schullandschaft und das Umsetzen immer wieder neuer Ideen koste zu viel Geld, kritisiert sie. Es sei nur nicht auf den ersten Blick sichtbar. Dafür fehle das Geld im Unterricht. Gautschy vermisst hier Planungs- und Rahmensicherheit: «Die Schule vor Ort bezahlt dann teuer dafür!»
Gautschy beobachtet zudem, dass sich der Wettbewerb unter den Gemeinden zuspitzt. Jede Gemeinde wolle die «Beste» sein. Der Steuerfuss habe nach Aussagen von Forschern allerdings keinen grossen Einfluss auf die Wohnortwahl. Heute seien andere Faktoren wie Kultur und Klima im Ort entscheidend, daneben auch das passende Grundstück, die Bodenpreise, die örtliche Schule und eine intakte Infrastruktur. Eine immer grössere Bedeutung komme guten Anschlüssen an den öffentlichen Verkehr zu: «Das sind die Visitenkarten einer Gemeinde.»
Die Befürchtung, dass die Gemeinden den Ausgabenhahn öffnen, teilt Gautschy nicht: «Die Erklärung zum letztjährigen Steuergeldsegen ist, dass wir davon ausgehen können, dass diese wie bisher jeden Franken zweimal umdrehen, bevor sie ihn ausgeben.»
Für 2018 zu pessimistisch?
Doch was heisst das alles für 2018? Waren jene Gemeinden zu pessimistisch, die ihre Steuern erhöht haben? Man müsste einen 1:1-Vergleich machen, sagt Gautschy «und klären, wer warum den Steuerfuss erhöht hat, wer ihn warum senken konnte und welche Einflüsse für den Abschluss dazukamen». In ihrer Gemeinde Gontenschwil habe man den Steuerfuss für 2018 erhöhen und rund 200’000 Franken Aktiensteuern zurückzahlen müssen. Gautschy erklärt: «Wir rechneten für 2017 mit einem positiven Abschluss, aber wir haben negativ abgeschlossen. Es ist eben nicht so einfach. Wichtig ist jetzt eine gründliche Analyse und Umfeldbetrachtung in der Rückschau und im Blick voraus.»