
Seit Jahren herrscht Einsturzgefahr bei der «Engel»-Scheune
Seit 1793 verbunden
Der «Engel» ist einer der ältesten Gasthöfe der Region. Der Kernbau stammt aus dem 17. Jahrhundert. Während ein paar Jahren wurden im Gebäude Mützen und Strümpfe hergestellt und eine Bleicherei betrieben, bis das Haus nach 1770 zur Tavernenwirtschaft «Zum goldenen Engel» wurde. 1793 wurde der «Engel» mit der bereits bestehenden Scheune verbunden. Um 1840 verfügte der «Engel» über einen Gewölbekeller, ein Waschhaus, einen Saalanbau mit Weinkeller und Tanzsaal sowie eine Bibliothek und elf unterschiedlich stattlich eingerichtete Gastzimmer. Beide Gebäude stehen heute im Besitz der Einwohnergemeinde und sind kommunale Kulturobjekte. Sie unterstehen aber keinem Schutz. Unter kantonalem Schutz steht einzig das Tavernenschild mit dem Schriftzug «Hotel de l’age d’Or».
Die Scheune – mitsamt dem Gasthaus «Engel» eines der prägendsten Gebäude in Oberentfelden – eine Wild-West-Fassade? Das wirft Fragen auf: Warum jetzt? Wie schlimm steht es um das Dach, wie gross ist die Einsturzgefahr? Was kostet der Abbruch? Und vor allem: Warum wird das Dach nicht ersetzt?
Die Frage nach dem Zeitpunkt ist keine unwesentliche: Denn 2014 wurde bereits das Vordach der Scheune eingekürzt, auch das wegen akuter Einsturzgefahr. Und schon damals zeigte sich in der Beurteilung des Holzbauingenieurs, dass auch das Hauptdach marode war. «Damals hat der Gemeinderat beschlossen, das Vordach zu kappen und beim Hauptdach lediglich Abstützungen anzubringen», sagt Bauverwalter Jürg Stucki. Jetzt habe die Bauverwaltung dem neuen Gemeinderat das Dossier noch einmal vorgelegt. Dieser habe einen neuen Bericht in Auftrag gegeben – und das Ergebnis war, so Stucki, erschreckend. «Wenn wir jetzt nicht handeln, kann eines Tages Schlimmes passieren.»
Labile Stützen
Das Problem: Vor Jahrzehnten waren verschiedene tragende Teile entfernt worden, in der Folge wurde das Tragwerk labil und es geriet in Bewegung. Das führte zu sichtbaren Verformungen der Wände. In einer Notfallübung wurden Stahlseile ins Dach eingezogen, um es zu stabilisieren. Durch die Verschiebungen war das Dach aber undicht geworden, Wind und Wetter setzten dem über 200-jährigen Konstrukt zu. «Heute sind selbst massivste Balken teilweise so morsch, dass man sie mit dem Fingernagel auskratzen kann», sagt Bauverwalter Stucki.
Doch warum handelt die Gemeinde Oberentfelden nicht sofort, wenn die Lage so prekär ist? Warum führt sie ein Baubewilligungsverfahren durch, durch das bis zur Rechtskraft mindestens 60 Tage verstreichen? «Hätten wir das nicht getan, wäre der Aufschrei in der Bevölkerung gewaltig gewesen», sagt Stucki. Der Gemeinderat habe aber beschlossen, die Oberentfelder nicht vor vollendete Tatsachen zu stellen, sondern in den Entscheid mit einzubeziehen. Abgesperrt werde das Gebiet um die Scheune nicht, weil Handlungsbedarf zwar bestehe, «nicht aber eine akute Einsturzgefahr», so Stucki.
Bleibt die Frage nach der Folgelösung: Gemäss Baugesuch bleiben nach dem Rückbau des Dachs (von der Hinterseite des Gebäudes her) die Vorder- und Rückfassade stehen. Dadurch entsteht ein 15 Meter breiter und 14,5 Meter tiefer Hof. Darin befinden sich die Weinstube des «Engels» sowie ein Waschraum. Beide Räume sollen mit einem von der Strasse her nicht sichtbaren Pultdach gedeckt werden. Den Veloabstellraum für WSB-Kunden wird es künftig nicht mehr geben. Kostenpunkt für alle Massnahmen: rund 200’000 Franken.
Renovation ist unmöglich
Eine Renovation ist unmöglich; dafür müsste der Dachstock komplett abgehoben werden – finanziell nicht machbar. Auch den Ersatz des Daches habe man selbstverständlich geprüft, sagt Bauverwalter Stucki. «Dieser würde aber zwischen 400’000 und 600’000 Franken kosten – zusätzlich zu den 200 000 Franken für den Rückbau.» Das Problem: Das Geld würde nicht mehr durch Mieteinnahmen in die Gemeindekasse zurückfliessen. «Eine Nach- oder Mehrnutzung ist nicht möglich. Das Dach ist nicht isoliert, ausserdem sind die Böden unterschiedlich hoch.» Um die Scheune als Veranstaltungsort nutzen zu können, wären noch einmal grosse Investitionen nötig. «Diese Option hält sich der Gemeinderat mit dieser vorliegenden Lösung aber offen», betont Stucki. Es wäre theoretisch möglich, zu einem späteren Zeitpunkt ein neues Dach auf die Grundmauern zu setzen.
Museumsbetreiber ist skeptisch
Keine Freude an den Abbruchplänen hat Christian Heilmann, Archivar der Gemeinde und Betreiber des Industriemuseums Oberentfelden. Zwar sehe er klar ein, dass dringender Handlungsbedarf bestehe und eine Renovation des Daches unmöglich sei. «Aber für das Dorfbild ist es extrem schade», sagt Heilmann.
Er hofft jetzt, dass im Dorf gute Ideen für eine Nutzung der Scheune spriessen. «Ideen, die so gut sind, dass man die Kosten für ein neues Dach guten Gewissens vor dem Steuerzahler vertreten könnte.»