Sex auf der Bühne! Muss das sein?

 

Denn verkorkst, frauenverachtend, beschädigt sind sie alle, genauso wie ein Gutteil der Menschheit auch. Ilknur Bahadir als Virgin Mary mit einer strickenden Vagina, Urs Peter Halter als Scheidungsgewinnler, Michael Neuenschwander als seniler Frauenhasser, der über den Machtmissbrauch der Säuglinge an ihren Eltern flennt, Lena Schwarz als notgeiler «Arena»-Moderator.

Yana Ross hat Schauspielertheater vom Klügsten geschafft. Sie hat die leichthin als Blut- und Hodentheater verschriene Ahnung eines Skandals in eine Lektion Menschlichkeit ummünzt. Den Beteiligten gebührten am Wochenende die Standing Ovations zu Recht. Und merke: Eine unbekleidete Frau mit Silikonbrüsten kann durchaus bekleideter wirken als eine bekleidete Frau mit natürlichen Brüsten.

 

Schauspielhaus Zürich, Schiffbauhalle, bis auf Weiteres auf dem Spielplan.

Darf ein Pornodarsteller Cellulitis am Po haben? Gibt es ein Höchstgewicht an Brüsten, die auch eine Sexarbeiterin noch (er)tragen kann? Und, darf man sich das überhaupt fragen? Denn man wälzt diese Gedanken nicht in einem Pornokino, in irgendeiner sogenannten Schmuddelecke, die unweit des Schiffbaus leicht zu besuchen wäre. Man grübelt solches auch nicht in einer «Verrichtungsbox» der Stadt, ums Eck quasi, wo sich Sex offiziell inoffiziell kaufen lässt und tagtäglich Knabenschiessen herrscht.

Man hat sich im Gegenteil eine Karte für die edle Hochkultur gekauft und will die Arbeit der Hausregisseurin Yana Ross in der Schiffbauhalle in Zürich sehen: «Kurze Interviews mit fiesen Männern», nach dem Roman von David Foster Wallace. Das Theater hatte bereits vor der Premiere seine Klientel gewarnt. Jugendliche unter 18 Jahren waren von der Premiere ausgeschlossen. Im Rahmen der Inszenierung, so die Veranstalter, würden eine Sexarbeiterin und ein Pornodarsteller «Life-Sex» nicht nur performen, sondern (wenn möglich) in echt ausführen.

Der Skandal des imperfekten Körpers

Und das aus einem einfachen Grund: Wallace schildert in der Romanvorlage fiktive Interviews mit Männern über ihre Tricks und Spielchen, um Frauen flachzulegen. Denn die mieseste, die verheerendste, die elendeste Entmenschlichung, so der Autor – und kein einschlägiger Erfahrungswert und keine diesbezügliche Beratungsstelle wird dem widersprechen –, spielt sich ab im Privaten.

Die « fiesen Männer», die in der Inszenierung von Yana Ross Cowboys darstellen, sind in Zürich ganz schön am Ende. Cowboy Lena Schwarz stirbt einen einsamen, unheldenhaften Tod. Bild: Sabina Bösch
Die « fiesen Männer», die in der Inszenierung von Yana Ross Cowboys darstellen, sind in Zürich ganz schön am Ende. Cowboy Lena Schwarz stirbt einen einsamen, unheldenhaften Tod. Bild: Sabina Bösch

 

Da sitzt man also als Zuschauerin vor dem kopulierenden Paar (mit Künstlernamen Conny Dachs und Katie Pears), das hinter Glas verrichtet, wozu es eingestellt wurde – und registriert als Erstes das Imperfekte ihres Körpers. Nicht die Nacktheit selbst scheint hier der Skandal; anstössig wirkt sie und wirkt der Akt, weil er vollzogen wird von ungeschönten Körpern.

Als hätten wir es nicht gewusst, hier wird man daran erinnert. Hollywood serviert uns den trainierten und operierten, den perfekt geschminkten und perfekt ausgeleuchteten Nackten, und selbst der wird digital nachbearbeitet. Hier aber liegt der Affront darin, Alltagsmenschen bei einer Alltagsverrichtung zuzusehen. Nichts ist daran radikal, sondern nur mehr banal. Interessant ist auch: Die forcierte Konstellation macht aus dem Zuschauer einen Voyeur – einen Mitbeteiligten und am Geschehen Mitverantwortlichen. Kann Gegenwartstheater die Rolle des Zuschauers deutlicher machen?

Das Paar jedenfalls, das sich neben mir darüber stritt, wohin der männliche Teil denn nun genau gucke – auf das Bühnengeschehen oder auf das mechanisch kopulierende Paar –, hat sich ohne Frage eine Stunde beim Eheberater gespart.

Gehört Sex auf die Bühne? Gehören nackte Körper ausgestellt? Die Debatte ist alt. Und dass sie so alt ist, dass sie inzwischen einen Bart trägt, weil sie nämlich eine doppelmoralische ist, erwies sich am Wochenende ohne Wenn und Aber. Wir leben in einer sexualisierten Gesellschaft, (historische) Gemälde nackter Frauen sind Millionen Wert, und das Werbegeschäft ohne Sex kann sich höchstens der Vatikan leisten. Das Theater als Labor für alternative Denkrichtungen und Haltungen, auch als Schutzraum, ist der ideale Ort, sein (freiwilliges) Publikum zum Hinsehen einzuladen. Zumal, wenn im Setting die Ausführenden nicht das von einer Regie dazu genötigte Ensemble ist, sondern Profis ihres Fachs.

Schweizer Fleisch und der feine Unterschied

Was Yana Ross und ein umwerfendes Ensemble mit Furor und Spielwut und Geschlechtertausch in ihrer Cowboy-Groteske um männliche (Gewalt)Fantasien – nicht nur Frauen betreffend – auf die Bretter brachten, ist schlichtweg überzeugend. Es ist verteufelt intelligent gedacht und herzerweichend menschenlieb umgesetzt. Und, es ist inhaltlich mit Schweizer Referenzen (auf Gerichtsurteile und Strafjustizprozesse) aufgebürstet. Jedes einzelne dieser traurigen Männer-Monster – gespielt auch von Frauen – ist ein Date wert – im Rahmen eines begleiteten Hofgangs, versteht sich.

In der Bullen-«Arena »zum Thema: Was will die moderne, sexuell frustrierte Frau eigentlich?
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