
Sex mit Maske ja, Ménage-à-trois nein: Mit diesen Massnahmen will die Bordell-Branche den Bundesrat überzeugen
Kein Sex gegen Bezahlung. Diese Devise gilt seit dem 16. März. Denn der staatlich verordnete Lockdown im Zuge der Corona-Pandemie betraf auch Bordelle, Erotiksalons und Escort-Services. Doch während Coiffeure, Massagetherapeuten und Kleidergeschäfte seither Schritt für Schritt wieder öffnen durften, ist der bezahlte Sex nach wie vor nicht erlaubt. Schliesslich ist das «Social Distancing» in wohl keinem anderen Gewerbe schwieriger umzusetzen. Der direkte Körperkontakt ist das Geschäftsmodell.
In der Romandie hat sich nun Widerstand formiert. Mehr als 50 Branchenvertreter haben sich zur Organisation «Demi-Mondaine» zusammengeschlossen, mit dem Ziel, beim Bundesrat für eine Wiedereröffnung per 8. Juni zu weibeln. Dafür hat die neue Gruppierung eine Charta verfasst, in der konkrete Hygiene-Massnahmen aufgelistet sind. Dazu gehören zum Beispiel das Tragen von Masken, das Verbot von Gruppensex und die regelmässige Reinigung der Zimmer.
Lockert der Bundesrat am Mittwoch die Regeln?
Die Regierung wird sich mit diesen Massnahmen auseinandersetzen müssen. «Wir haben dem Bundesamt für Gesundheit die Charta geschickt», sagt Daniel, Präsident von «Demi-Mondaine», der nur mit Vornamen genannt werden möchte. Noch habe man keine Antwort erhalten, man hoffe aber dennoch auf eine Reaktion des Bundesrates – möglicherweise bereits nach seiner Sitzung am kommenden Mittwoch.
Ein Sprecher des Bundesamtes für Gesundheit sagt auf Anfrage, dass man den weiteren Lockerungsschritten des Bundesrates am Mittwoch nicht vorgreifen könne. Auch der nationale Zusammenschluss von Beratungsstellen für Sexarbeitende hat ein Konzept eingereicht. Dazu gehören empfohlene Geschlechtsverkehr-Stellungen, bei denen die Tröpfchenübertragung und der Gesichterabstand möglichst gering sind.
«Sie sind am Hungern, da ihnen jegliches Einkommen fehlt»
Die Vertreter von «Demi-Mondaine» betonen die wirtschaftlichen Folgen für die zahlreichen Betriebe. «Viele drohen Konkurs zu gehen», sagt Daniel. Schwerwiegend seien vor allem die menschlichen Folgen des Lockdowns für die Sexarbeiterinnen. Im grössten Bordell der Westschweiz, dem Venusia, stammten fast alle Frauen aus der EU, sagt Chefin Lisa. Sie profitieren von der Personenfreizügigkeit. «Wer hier arbeitet und korrekt die AHV bezahlt hat, erhält eine Erwerbsausfallsentschädigung von der Schweiz.» Kurzarbeitsgelder gibt es für sie hingegen keine, da sie nicht als Angestellte gelten. Die Damen aus ihrem Etablissement seien inzwischen alle nach Hause gereist, nach Rumänien, Italien oder Frankreich, sagt.
Doch Demi-Mondaine-Präsident Daniel macht klar: «Die Mehrheit der Sexarbeiterinnen in der Schweiz leidet derzeit enorm.» Viele von ihnen arbeiten nicht in einem Erotikbetrieb, sondern in separaten Zimmern oder Apartments, wie zum Beispiel im bekannten Genfer Rotlichtmilieu Pâquis. «Sie sind am Hungern, da ihnen jegliches Einkommen fehlt.» Viele von ihnen stünden regelmässig bei der Abgabe von Lebensmittel-Rationen in Genf an. Die Armutsbilder aus der reichen Schweiz hatten international für Aufsehen gesorgt.
Immerhin: Von der Hilfsorganisation Aspasie erhalten die Sexarbeiterinnen zweiwöchentlich 150 Franken. «Doch das reicht natürlich nirgends hin», sagt Daniel. Das Elend der Frauen besteht zudem nicht nur aus Hunger. «Es gibt viele Frauen, die sich gezwungen sehen, trotz des Lockdowns zu arbeiten, um ihre Kinder oder Familien im Heimatland zu ernähren.» Diese Notsituation würde von manchen Freiern ausgenutzt. «Sie lassen ihrem Hang zur physischen und verbalen Gewalt freien Lauf», sagt Daniel. Normalerweise könne die Frau in so einem Fall die Polizei rufen. Doch das sei jetzt nicht möglich. «Dann würde ihnen eine Busse, Gefängnis oder gar der Ausweisentzug drohen, und das wissen die Freier.» Manche Kunden würden den Frauen zudem das Geld stehlen – nachdem ihre sexuellen Wünsche befriedigt wurden.
Anrufe von Freiern, die sich nicht beherrschen können
Venusia-Chefin Lisa glaubt, dass die meisten Kunden nach der Wiedereröffnung zurückkehren und sie die zusätzlichen Sicherheitsmassnahmen nicht stören. «Wir erhalten regelmässig Anrufe von Freiern, die sich kaum mehr beherrschen können.» Manche hätten auch schon 1000 Franken geboten, um heimlich 15 Minuten mit einer Frau verbringen zu dürfen. Bei ihr würden sie auf taube Ohren stossen, sagt Lisa. «Aber leider fühlen sich viele Frauen in der Not nur schon bei 50 oder 100 Franken genötigt, illegal zu arbeiten.»
Ziel von «Demi-Mondaine» sei es, auch Betriebe und selbstständige Sexarbeiterinnen aus der Deutschschweiz und dem Tessin an Bord zu holen, sagt Sprecherin Linda, die selber einen Escort-Dienst betreibt. Laut der Organisation arbeiten in der Schweiz rund 55‘000 Personen im Erotikgewerbe. Umsatzschätzungen reichen von 800 Millionen bis 1,2 Milliarden Franken.