
Showdown im 170-Millionen-Betrugsfall ASE: Ex-Firmenpräsident fordert Freispruch
Einer der grössten Fälle von Anlagebetrug in der Schweizer Geschichte geht in die zweite Runde. Heute wird der Fall ASE erneut verhandelt. Nach dem Bezirksgericht Laufenburg ist nun in zweiter Instanz das Aargauer Obergericht an der Reihe.
Ein Blick zurück: Die Fricktaler Investmentfirma ASE («Anlage, Sicherheit, Ertrag») betrieb zwischen 2006 und 2012 ein riesiges Schneeballsystem und betrog damit knapp 2000 Geschädigte um 170 Millionen Franken. Geschäftsführer Martin Schlegel und Verwaltungsratspräsident Simon Müller versprachen mit dem Handel von Fremdwährungen Renditen von 12 bis 18 Prozent pro Jahr. Schlegel erhielt eine Freiheitsstrafe von neun Jahren, Müller eine Strafe von fünf Jahren. An die Adresse Schlegels sagte Bezirksgerichtspräsident Beat Ackle bei der Urteilsverkündung: «Sie haben alles gemacht, was Gott im Bereich der Wirtschaftskriminalität verboten hat.»
Schlegel war von Beginn weg geständig und kooperierte mit den Ermittlern. Er wehrt sich deshalb auch nur gegen einen Teil des Urteils und fordert vom Obergericht eine tiefere Strafe. Müller dagegen verlangt einen vollumfänglichen Freispruch. Die Aargauer Staatsanwaltschaft wiederum fordert für Müller eine höhere Strafe.
Während des Prozesses vor Bezirksgericht stellte sich Müller auf den Standpunkt, von Schlegel ebenso systematisch getäuscht und geschädigt worden zu sein, wie alle anderen. Er sei deshalb zu Unrecht zum Täter gemacht worden. Der Anwalt Müllers entschied sich damals für eine aussergewöhnliche Strategie. Statt dem Gericht Red und Antwort zu stehen, verlass Müller eine 67-seitige Erklärung. Damit sei alles gesagt, blockte der Verteidiger Fragen der Richter ab. Der Fall sei sehr umfangreich und komplex, weshalb es sehr schwierig sei, vollständige und präzise Aussagen zu machen. Vermutlich wollte der Anwalt verhindern, dass sich Müller in Widersprüche verstrickt.
Zahlreiche Warnsignale
Das Bezirksgericht überzeugte die Erklärung Müllers nicht. Bei der ASE habe es sich um eine Zwei-Mann-Gesellschaft gehandelt. Deshalb sei zu erwarten, dass ein Geschäftsführer jeweils den Überblick über die Tätigkeiten des andern hat, heisst es in der schriftlichen Urteilsbegründung. Zudem hätten Schlegel und Müller im gleichen Büro gearbeitet. «Es wäre Müller also in rein räumlicher Hinsicht möglich gewesen, Schlegel intensiver zu kontrollieren, wozu er als Verwaltungsrat verpflichtet gewesen wäre.»
Müller sagte während des Prozesses, dass Schlegel ihm in vielen Themenbereichen um «Meilen voraus gewesen» sei. Doch auch das war für das Gericht nicht glaubhaft. Müller habe als diplomierter Treuhänder in der Lage sein müssen, Schlegel zu durchschauen. Letztlich habe Müller bei seiner Kontrolltätigkeit stets den Aussagen von Schlegel und den von ihm gelieferten Bankauszügen getraut. Vielmehr hätte Müller aufgrund der Alarmzeichen die Vorgaben Schlegels akribisch überprüfen müssen. Müller habe aber nach Auffassung des Gerichts sämtliche Hinweise auf Ungereimtheiten von Kunden, Finanzzeitschriften und im Tagesgeschäft ignoriert.
Damit meint das Gericht unter anderem zwei kritische Artikel der Zeitschrift «K-Geld». Darin wird etwa die hohe Rendite der ASE infrage gestellt. Im zweiten Bericht kommen sogar die versteckten Konti in kanadischen Dollars zur Sprache, über die der Betrug ablief, wie sich später herausstellte. Doch Müller liess nur prüfen, ob die ausgewiesenen Renditen richtig berechnet wurden und auch das nur gestützt auf Informationen der ASE.
Die beauftragte Prüfgesellschaft PwC schrieb ausdrücklich, dass ihr Bericht keinen Schutz gegen eine betrügerische oder falsche Darstellung der Rendite biete. Zudem wählte Schlegel die zu prüfenden Kunden selber aus, wobei er Dossiers heranzog, bei denen er nicht betrogen hatte. Der Bericht von PwC sei zur Entkräftung der Müller bekannten Vorwürfe deshalb nutzlos gewesen. Das Gericht geht davon aus, dass Müller spätestens mit dem zweiten Artikel von «K-Geld» die Machenschaften Schlegels hätte aufdecken müssen.
Gleichzeitig habe sich Müller als Stellvertreter Schlegels im Devisenhandel ausgegeben, der die Investments jederzeit im Griff habe, «obwohl er offenbar keine Kenntnis von den Praktiken seines Partners hatte». Er habe den Anlegern damit Sicherheit für ihre Anlagen «durch jederzeit gewährleistete Vertretung vorgespielt und sie damit in treuwidriger Weise getäuscht».
BKB nicht aus dem Schneider
Eine unrühmliche Rolle im Fall spielte auch die Basler Kantonalbank. Die ASE-Verantwortlichen nutzen die BKB von Beginn weg als Depotbank. Rund 600 Kunden eröffneten ein Konto bei der Bank. Betreut wurden die Kunden jedoch nicht in der Zentrale in Basel, sondern vom Private-Banking-Ableger in Zürich. Zuständig war Kundenberater und Teamleiter Manfred G. Dieser wurde zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt. G. hat das Urteil akzeptiert.
Doch die BKB ist nicht aus dem Schneider. Rund 300 ASE-Geschädigte haben im Sommer 2015 eine Strafanzeige gegen die BKB wegen Verdachts auf Geldwäscherei eingereicht. Die zuständige Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau trennte diesen Fall vom Hauptverfahren ab. Letzten März schliesslich wurde die Strafuntersuchung gegen die Bank eingestellt. In der Folge legten die Geschädigten Berufung ein. Sie setzten sich im vergangenen Dezember erfolgreich durch. Noch ist aber nicht klar, ob die BKB oder die Staatsanwaltschaft das Urteil vor Bundesgericht anfechten wird.