
Sie behält den Überblick aus luftiger Höhe
Barbara Oestreich ist eine der wenigen Frauen, die als Kranführerin tätig ist. Seit über 30 Jahren übt sie den Beruf mit viel Leidenschaft aus.
Wenn sich Barbara Oestreich morgens um 6 Uhr auf den Weg zur Arbeit macht, überlegt sie sich zwei Mal, was sie mitnimmt. Mit gutem Grund. Ihren Arbeitsplatz – die Kabine des Turmdrehkrans – erreicht sie zu Fuss über eine schmale, senkrechte Leiter in rund 30 Metern Höhe. «Nein, die Stufen habe ich bestimmt noch nie gezählt», sagt die 58-Jährige in Berliner Dialekt. Das gehöre halt zum Beruf eines Kranführers. Einmal oben bleibt sie meist bis Feierabend dort. Die Kabine sei mit dem wichtigsten ausgestattet; Wasserkocher, Kaffee und Rahm stehen bereit.
Arbeiten in einer Männerdomäne
Barbara Oestreich führt gegenwärtig den grösseren der beiden Kräne auf der Baustelle im Pflegeheim Sennhof in Vordemwald – hebt tonnenschweres Material empor und platziert es exakt an vorgesehener Stelle. «Es ist ein anstrengender Job. Die Aufgabe verlangt höchste Konzentration, Genauigkeit, Treffsicherheit und man muss stets den Überblick über die Baustelle behalten», sagt Barbara Oestreich. Unerlässlich sei eingespielte Kommunikation mit den Arbeitern unten auf der Baustelle. Das Kommando erfolgt durch Winken, Zurufen und ab und zu mittels Handy.
Dass Barbara Oestreich in einer Männerdomäne tätig ist, stört sie nicht. Im Gegenteil. «Mit Männern zu arbeiten, ist das einzig Wahre», sagt sie ohne mit der Wimper zu zucken. Sie möge die direkte Art. Längst hat sie bewiesen, dass sie genau so viel auf dem Kasten hat wie ihre männlichen Kollegen. Dennoch spürt sie manchmal seitens der Bauleute, die sie noch nicht kennen, eine gewisse Skepsis. Doch darüber steht die taffe Kranführerin. Dass sie in diesem Metier tätig ist, habe sich eher zufällig ergeben.
Nach der obligatorischen Schulzeit absolvierte sie 1976 die Ausbildung als Baufacharbeiter. Dort sei sie in der Betonfertigteilproduktion tätig gewesen. «Mit der Zeit rutschte ich als Kranführerin nach», sagt Barbara Oestreich, die als Kind einer Arbeiterfamilie in Kleinmachno – eine Gemeinde in der ehemaligen DDR am Stadtrand von Berlin – mit vier Geschwistern aufgewachsen ist. 1983 hat sie die Ausbildung zur Kranführerin, die sie in ihrer beruflichen Karriere ganz nach oben geführt hat, abgeschlossen. Seither übt sie ihren Beruf mit viel Leidenschaft aus. Was die Faszination vom Kranfahren für sie ausmacht, kann Barbara Oestreich, die in Oftringen wohnhaft ist, nicht in Worte fassen.
Fernab der Baustelle
2005 hat es die zweifache Mutter wegen der Arbeit in die Schweiz verschlagen, seit gut sechs Jahren ist sie für die Gebrüder Hallwyler AG in Rothrist tätig. Die Liebe zur Heimat ist stets geblieben. Beinahe jedes Wochenende zieht es die Kranführerin zurück. Nicht etwa nach Berlin – die Fahrt dorthin sei zu weit und zu nervenaufreibend – sondern mit dem Wohnmobil vorwiegend in die Nähe von Worms in die Weinberge. Dort geniesst sie mit ihrem Partner die Ruhe fernab der Baustelle. Sie brauche in ihrer Freizeit nicht noch jede Menge Rummel und auch keine Aktivitäten in luftiger Höhe. «Seit ich Kranführerin bin, fahre ich nicht einmal mehr Karussell oder Achterbahn. Bei diesen Geschwindigkeiten wird mir schlecht.»
Sie habe sich an die langsame Bewegung des Krans gewöhnt und im Vergleich zu Deutschland sei jener im «Sennhof» von der Höhe her ein Baby, ja ein Erdbeerpflücker. In Berlin habe sie einmal einen Kran geführt, dessen Kabine sich auf 156 Metern befunden habe. Dass sie täglich nur noch eine 30 Meter hohe Leiter erklimmen muss, um ihren Arbeitsplatz zu erreichen, macht ihr nichts aus. «Ich bin mit meiner Arbeit und meinem Arbeitgeber sehr zufrieden – das ist das Wichtigste.»