
Sie führt die Schweiz durch den Corona-Winter und eine allfällige zweite Welle: Wer ist die neue BAG-Chefin Anne Lévy?
Noch bevor sie am Donnerstag ihr Amt antritt, hat Anne Lévy bereits klar gemacht, dass unter ihrer Führung im Bundesamt für Gesundheit (BAG) ein anderer Wind wehen wird als unter ihrem Vorgänger Pascal Strupler. Nach dem überraschenden Abgang von Stefan Kuster, dem Nachfolger von Daniel Koch als «Mister Corona», kündigte das BAG an, dessen zahlreiche Aufgaben auf mehrere Schultern zu verteilen.
Die neue Direktorin werde in der ersten Oktoberhälfte über die künftige Organisation detailliert informieren, heisst es. Bis die neue Struktur aufgebaut ist, übernimmt Lévy gleich auch noch interimistisch die Leitung der Corona-Task-Force des Bundesamts.
Der Kontrast zum abtretenden BAG-Chef Pascal Strupler ist beachtlich. Dieser war seit Ausbruch der Corona-Pandemie öffentlich wenig präsent. Die öffentlichen Auftritte überliess er meistens den zuständigen Fachleuten aus der dritten oder gar vierten Hierarchiestufe.
Als er Ende Juli angesichts der rapide ansteigenden Corona-Fallzahlen doch einmal an einem Point de Presse auftrat, sorgte er direkt für Verstimmung. Während der Bundesrat in den Sommerferien weilte, meinte Strupler, man müsse die Kantone «jetzt aufrütteln». Er wollte ihnen eine schweizweite Maskenpflicht in Geschäften aufdrängen.
Der Auftritt kam schlecht an. Die Gesundheitsdirektorenkonferenz reagierte umgehend per Communiqué mit einer zwar freundlich formulierten, aber unmissverständlichen Absage auf den Druckversuch aus dem BAG.
«Der härteste Job in Bundesbern»
Aufgrund der Pandemie wird das Bundesamt für Gesundheit weiter im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Die 48-jährige Lévy übernimmt den BAG-Spitzenposten zu einem denkbar schwierigen Zeitpunkt: Der Herbst und die wieder zugelassenen Grossveranstaltungen machen es noch anspruchsvoller, die Übersicht über das Infektionsgeschehen – wie es in der Fachsprache heisst – zu behalten.
Das Vertrauen der Öffentlichkeit ins BAG ist angekratzt. Dafür verantwortlich sind Kommunikationspannen und teilweise haarsträubende Versäumnisse, etwa bei der digitalen Erfassung der Fallzahlen. Lévy übernehme «den härtesten Job in Bundesbern», schrieb die NZZ.
«Anne Lévy ist eine Führungspersönlichkeit und bringt das nötige Rüstzeug mit»: Das sagt einer, der sie gut kennt. Der ehemalige Basler CVP-Regierungsrat Carlo Conti holte Lévy 2009 vom BAG, wo sie die Sektion «Alkohol und Tabak» leitete, zu sich ins Gesundheitsdepartement und machte sie zur Bereichsleiterin Gesundheitsschutz.
2015 übernahm sie die Leitung der Universitären Psychiatrischen Klinik Basel (UPK) und führte als CEO einen Betrieb mit über 1000 Angestellten – zahlenmässig mehr als im BAG.
Ihr Steckenpferd: Suchtpävention
Die studierte Politikwissenschafterin kennt sich aus an den Grenzen zwischen Verwaltung, Politik, den Akteuren des Gesundheitswesens und den Kantonen: «Sie fühlt sich wohl an diesen Schnittstellen und hat die nötige Standfestigkeit, um Konflikte auszuhalten», meint Conti. Auch die Basler SP-Grossrätin und Gesundheitspolitikerin Sarah Wyss findet lobende Worte.
«In meiner Wahrnehmen hat sie ihre Führungsaufgaben in Basel mit grosser Kompetenz wahrgenommen, Probleme und Konflikte in ihren Abteilungen sind mir nicht bekannt», sagt sie. Gleichzeitig habe Lévy auch ein Gespür dafür, den eigenen Handlungsspielraum optimal auszunutzen.
Diese Qualität dürfte ihr auch in Bundesbern zugutekommen. Gesundheitsminister Alain Berset ist bekannt dafür, seine Amtsdirektoren an der kurzen Leine zu führen und in strategischen Dossiers – im Falle des BAG gehören dazu in normalen Zeiten die Krankenkassenprämien – die Kommunikationshoheit selbst auszuüben. Ihr früherer Chef Carlo Conti traut es Lévy aber zu, sich mit Berset zu arrangieren und sich in ausgewählten Dossiers zu profilieren.
Gut möglich, dass sie ihren Fokus angesichts ihres Werdegangs auf die Suchtprävention legen wird. Mit der vom Parlament in der Herbstsession bewilligten wissenschaftlichen Pilotversuchen zur Cannabis-Abgabe ist dem Thema in den kommenden Jahren viel Aufmerksamkeit sicher.
Ihr Berndeutsch wird zu hören sein
Vor ihrem Amtsantritt steht Lévy den Medien nicht mehr zur Verfügung. Gegenüber der «Basler Zeitung» sagte sie bereits im Juni, dass sie sich trotz der Coronakrise auf die «sehr attraktive Stelle» freue. Der Abschied aus Basel falle ihr nicht leicht, aber es sei auch schön, nach Bern zurückzukehren. Die Bundestadt kennt Lévy nicht nur aus ihren Berufsjahren im BAG und davor als Drogenbeauftragte der Stadt Bern.
Der Wechsel ist eine Rückkehr zu ihren Wurzeln: Lévy ist in Bern aufgewachsen, zog aber im Alter von 16 Jahren ans Rheinknie. Bis heute hat sie ihren markanten Stadtberner Dialekt bewahrt. Im dialektbewussten Basel eine Tatsache, auf die fast ausnahmslos alle befragten Auskunftspersonen verweisen.
Im Gegensatz zum Walliser Dialekt von Vorgänger Strupler wird die Schweiz Anne Lévys Berndeutsch wohl häufiger zu hören bekommen: «Sie wird die Öffentlichkeit nicht scheuen», meint der frühere Basler Gesundheitsdirektor Carlo Conti. Während der gegenwärtigen Pandemie sei die Kommunikation die wichtigste Aufgabe einer BAG-Direktorin.
Lévy müsse das Vertrauen in der Bevölkerung herstellen, dass der Weg der Behörden der richtige ist und es ermöglicht, das Virus einigermassen unter Kontrolle zu halten, ohne dem öffentlichen Leben und der Wirtschaft allzu stark zu schaden. Conti zweifelt nicht daran, dass sie das kann: «Sie kommuniziert geradlinig, unkompliziert und kommt auf den Punkt».