Skirennen: cool oder Schnee von gestern?

Michael Wyss: Ich mag Wendy Holdener. Ich bewundere ihr skifahrerisches Können und verneige mich vor den Weltcup-Resultaten in den letzten Jahren. Ihren neusten TV-Spot für das Energie- und Infrastrukturunternehmen BKW bringt mich aber zum Schwitzen. «Seit meiner Kindheit bin ich in den Bergen», sagt sie, «der Klimawandel ist da oben nicht mehr zu übersehen. Wir alle sind gefordert, unser Verhalten, unseren Umgang mit Ressourcen und Energie zu überdenken. Was können wir, was kann ich, was kann jeder Einzelne von uns tun?» Ich hätte eine Idee: Auf den Grossteil der umweltschädlichen Skirennen verzichten und zu den übrig bleibenden Veranstaltungen mit dem Velo anreisen.

Melanie Gamma: Das wäre dann eine Art Duathlon, mit dem Velo und den Skiern auf dem Rücken an ein Rennen und dann den Steilhang runterbrettern. Aber im Ernst: Mir würde etwas fehlen, gäbe es die Lauberhorn-Abfahrt oder den Slalom in Wengen nicht mehr. Bei keinem Sportevent klopft mein Herz stärker, als wenn die Skicracks über den Hundschopf springen, in extremis einen Sturz verhindern und akrobatisch die Slalomstangen noch korrekt umkurven. Hast du die Rennen am Wochenende nicht geschaut?

Wyss: Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich komplett auf Adelboden und Wengen verzichtet. Der Grund ist ein einfacher: Obwohl ich kein Greta-Jünger bin, war ich schockiert, nachdem ich in einer Reportage gesehen habe, welchen Aufwand – logistisch und finanziell – es braucht, um genügend Schnee in ein eigentlich schneefreies Gebiet zu befördern. Das Bild des weissen Bandes auf grünem Grund in Adelboden hat mir definitiv gereicht. Wieso nicht gleich ein Skirennen in Dubai?

Gamma: Ja, das hat mich auch nachdenklich gestimmt. Bei meinen Lauberhorn-Besuchen vor Jahren versanken wir jeweils im Schnee. Hässlich, wie grün und braun es dieses Mal neben der Piste war. Vielleicht brachte dieser Anblick einige TV-Zuschauer dazu, den Klimawandel endlich wahrzunehmen? Das wäre dann Win-win: gleichzeitig ein spannendes Rennen und darüber nachdenken, wie jeder Einzelne Ressourcen und Energie sparen kann – ganz im Sinne von Wendy und Greta.

Wyss: Die vielen Tonnen Schnee, die zahlreichen Rennpisten – oft per Helikopter – zugeführt werden müssen, sind nur das eine. Die Veranstaltungen in Adelboden und Wengen sind aber auch defizitär. Letztes Jahr haben die Lauberhornrennen trotz Rekordzuschauerzahl ein Minus von 270 000 Franken erwirtschaftet. Ich sehe das mit der Win-win-Situation so: Der Umwelt zuliebe auf Rennen verzichten und das gesparte Geld in soziale Projekte stecken.

Gamma: Gäbe es für die Veranstalter genauso viel Geld aus dem Topf für TV- und Marketingrechte wie für Swiss Ski, wären Wengen oder Adelboden vielleicht nicht mehr defizitär. Oder wenn sie sich besser vermarkten würden. Und schlecht messbar ist, wie viel der Tourismus profitiert. Das Lauberhorn-Rennen zieht sicher viele mal ins Skigebiet. Aber ja, vielleicht könnte man der Umwelt zuliebe den Weltcup-Kalender straffen und so planen, dass eine Rundreise möglich ist und für Athleten und Betreuer weniger Flugmeilen anfallen.

Wyss: Ich sehe die Zukunft eher bei Grasski. Schliesslich wird es irgendwann nicht einmal mehr möglich sein, Snowfarming zu betreiben, also den Schnee zu konservieren. Schade für unsere Kinder, die es nicht mehr erleben werden, wie es ist, eine Schneefrau zu bauen oder eine Schneeballschlacht zu machen. Aber ganz ehrlich: Mir ist der Sommer sowieso sympathischer.

Gamma: Ich hab auch lieber 20 Grad als -15. Aber dass Gletscher schmelzen, finde ich genauso schlimm wie Wendy. Schlimmer, als dass es einst keine Skirennen mehr geben wird. Über die Bücher müsste man in vielen Sportarten. Der Formel-1-Zirkus jettet durch die Welt, die Fussballstadien an der WM in Katar müssen runtergekühlt werden und auf Golfplätzen verwendet man Pestizide. Alle sind gefordert.