
Solothurner Fasnachtszeitung wird wegen anstössigem Inhalt zurückgezogen

Es stürmt: Nicht nur in den Gassen von Solothurn, sondern auch in den Kommentarspalten von Facebook. Und der Sturm führte nun zu einem historischen Ereignis der honolulesischen Narrengeschichte: Erstmals überhaupt wurde am Dienstag eine Fasnachtszeitung wegen anstössiger Inhalte zurückgezogen.
Doch alles der Reihe nach: Stein des Anstosses ist ein Beitrag der Fasnachtszeitung «11 minuten», die seit Samstag kostenlos in mehreren Stadtgeschäften auflag – und einige Solothurner ganz schön aufbrachte. Bedacht wurde der Beitrag mit User-Bekundungen wie «krasse Grenzüberschreitung», «einfach nur peinlich», «unter jeder Sau», «zum Fremdschämen».
Was mit einem Instagram-Beitrag begann…
Im Zentrum des besagten Beitrags: Maria Brehmer, Journalistin und Social-Media-Verantwortliche. Ihre Kolumne «Liebes Leben, wir müssen reden», die sich dem Themenbereich Beziehungen und Sexualität widmet, bot den Anlass. Und ein von ihr auf Instagram publik gemachtes Bild bildete den fotografischen Aufhänger dazu.
Darauf ist sie mit Weinglas in einem Swimmingpool zu sehen, offensichtlich unbekleidet und doch dank Wasserspiegel nicht entblösst. Nachträglich durch «11 minuten» hineinmontiert: zwei Quietscheenten.
Ihr sei «dr Lade abegange», nachdem sie am Samstagnachmittag ein Exemplar von «11 minuten» in die Finger bekommen hatte. Nicht wegen des abgedruckten Pool-Fotos, sondern wegen der hinzugestellten Titel-Vorschläge. «Der Beitrag strotzt vor unterirdisch sexistischen Anspielungen.»
Nachdem sie sogar von eingefleischten Fasnächtlern Sympathiebekundungen erhalten hatte, entschloss sie sich, in der Angelegenheit an die Öffentlichkeit zu gehen.
Pointiert fasste sie den anstössigen Inhalt in einem Facebook-Beitrag zusammen: «Sitzen ein paar Männer zusammen und suchen Pointen für ihre Fasnachts-Zeitung. A: ‹Komm, machen wir uns über Brüste lustig!› – B: ‹Au ja, und kleben wir ein paar Enten drauf!› – C: ‹… und benutzen Wörter wie blasen, spritzen, Muschi und Melonen!› – Solothurn, 2020.»
Der Sturm der Entrüstung erfasste bald auch die Redaktion von «11 minuten», die sich zu einer Reaktion genötigt sah. Eine aber, die Maria Brehmer kaum goutierte: «Am Dienstag kam ein Entschuldigungsmail, das eigentlich ein Hohn ist. Sie haben lediglich mit einem ‹Sorry› signalisiert, dass sie zu weit gegangen sind. Und mir zwei Gratistickets für ihre Fasnachtsveranstaltung Schnuriwuri im nächsten Jahr angeboten.»
Brehmer sah in der Entschuldigung lediglich eine «Schadensbegrenzung im eigenen Interesse» und kontaktierte Pascal Walter, seineszeichens Vize-Stadtpräsident und Mitglied der «11 minuten»-Redaktion. «Ich wollte ihm die Gelegenheit geben, sich von dem Beitrag zu distanzieren.» Was zur Folge hatte, dass in einer Feuerwehr-Aktion die entsprechenden Läden angewiesen wurden, die Verteilung des Gratisblattes einzustellen. Am Dienstag noch zogen danach die Mitglieder der «11 minuten»-Redaktion alle verbliebenen der gesamthaft 2000 Exemplare ein.
«Wir haben uns im Tonfall vergriffen»
«Logischerweise würden wir es im Nachhinein nicht mehr so machen», sagt Pascal Walter auf Anfrage. Es sei der elfköpfigen Redaktion nach dem Facebook-Post bewusst geworden, eine Grenze überschritten zu haben, die nicht hätte überschritten werden dürfen. Obwohl die Frage bereits im Vorfeld kontrovers in der Redaktion diskutiert worden sei. Wie es bei der Erarbeitung der Themen für die Fasnachtszeitung halt oft gehe, sei der Redaktion das Bild gleich von mehreren Seiten zugespielt worden. «Wir haben zudem herausgefunden, dass das Bild öffentlich zugänglich ist, was aber natürlich nicht heisst, dass man damit alles Mögliche machen kann», so Walter weiter. «Und in diesem Fall haben wir uns im Tonfall vergriffen, wofür wir uns bei ihr und all jenen, die sich verletzt fühlen, entschuldigen.»
Anfang nächster Woche soll eine überarbeitete Version von «11 minuten» ohne den anstössigen Beitrag und in kleinerer Auflage erscheinen, dafür mit einer Entschuldigung an ebenjener Stelle, wo die Redaktion sich auch namentlich bekennen will. Auch soll der Schlusserlös aus den Inserateeinnahmen von «11 minuten» diesmal einer sinnvollen Organisation gespendet werden. «Insgesamt möchten wir die Angelegenheit stilvoll beenden, auch im Sinne der Solothurner Fasnacht», sagt Walter.
«Es ist weder närrisch, noch witzig, noch satirisch»
Um die Fasnacht im Grossen und Ganzen geht es auch Maria Brehmer: «Mich trifft die Sache weniger persönlich. Es ist einfach oftmals so, dass Frauen ein beliebtes Sujet sind, um sich über sie auf sexualisierte und chauvinistische Art lustig zu machen.» Dies habe sie schon im vergangenen Jahr beobachtet. Das sei weder närrisch, noch witzig, und schon gar nicht satirisch.
Einige Facebook-Kommentare hingegen stellen die Frage, ob man sich mit einem Instagram-Post und als Kolumnistin nicht auch bewusst der Öffentlichkeit preisgebe und somit kalkulierbare Konsequenzen in Kauf nehme. Dazu findet Maria Brehmer: «Das ist eine alte Diskussion: Natürlich, jeder, der sich exponiert, muss bis zu einem gewissen Grad die Reaktionen aushalten können. Dennoch muss man nichts erdulden, was jenseits des Anstands ist.»
Dieser Fall kann durchaus auch Anlass sein, aus der Warte der Geschlechterfrage auf die Solothurner Fasnacht zu blicken. Dies findet auch die Betroffene selbst: «In den Stammzünften finden sich eben nur Männer. So ist dort auch die Feedbackkultur etwas flacher. Wären eine oder zwei Frauen in der Redaktion dabei, wäre die Arbeit vielleicht reflektierter.»