
Sozialhilfe-Bezügerin wegen Veruntreuung vor Gericht – Schelte für den Staatsanwalt
Laila (Name geändert) ist 56-jährig, Schweizerin und geschieden. Das rote Seidentuch mit den goldenen Zotteln, das sie zu einer Art Turban geschlungen trägt, zeugt von ihrer Herkunft. Per Strafbefehl war Laila im Juli letzten Jahres wegen Veruntreuung sowie unrechtmässigem Bezug von Leistungen der Sozialhilfe zu einer bedingten Geldstrafe von 5400 Franken sowie 1000 Franken Busse verurteilt worden. Weil sie das nicht akzeptierte, folgte nun die Gerichtsverhandlung.
Zu dieser wurde Laila von ihrem Beistand begleitet. Nach mehreren Klinikaufenthalten hat sie ihre Alkoholsucht überwunden. Nach wie vor aber ist die Angeklagte psychisch sehr instabil. Seit über sechs Jahren lebt Laila ausschliesslich von Sozialhilfebeiträgen.
Der Staatsanwalt warf Laila vor, vom 67-jährigen Mauro (Name geändert) dessen EC-Karte samt PIN-Code erhalten zu haben, da der Mann nicht mehr in der Lage war, selbst Geldbezüge zu tätigen und die anfallenden Rechnungen zu bezahlen. «Er hatte mir zugestanden, zwischendurch mal einen kleinen Betrag für mich selber verwenden zu dürfen.»
Zwischen Januar und September 2017 habe Laila — laut Strafbefehl — insgesamt 28’536 Franken bezogen. Abzüglich von rund 5500 Franken, mit denen die Beschuldigte im Januar 2017 zwei Rechnungen des Altersheims bezahlte, habe sie also mindestens 20’000 Franken für eigene Zwecke verwendet. Weil sie dies der Gemeinde nicht meldete, habe sie überdies Sozialhilfegelder bezogen, die ihr nicht zustanden.
Nichts Unrechtes getan?
Zur Verhandlung vor Einzelrichter Daniel Peyer brachte Laila einen Ordner und mehrere Mäppchen mit. Der inzwischen verstorbene Mauro sei seit Jahren ein guter Bekannter von ihr gewesen. «Nein, wir hatten kein Verhältnis. Er war wie ein Onkel für mich.» Nach einem Sturz war Mauro auf den Rollstuhl angewiesen, musste schon bald ins Altersheim. In einem Redeschwall versicherte die Beschuldigte, sie habe nichts Unrechtes getan: «Ich schwöre, dass ich das Geld nicht genommen habe.»
Dafür habe sie — sie deutete auf den Ordner — Belege. Ob sie, so der Richter, diesen Ordner der Polizei und dem Staatsanwalt nicht vorgelegt habe? «Nein», so die lapidare Antwort von Leila, die damals noch keinen Beistand hatte. Daniel Peyer bat um den Ordner und unterbrach die Verhandlung zwecks Studium von dessen Inhalt.
Grosse Fragezeichen
Da Richter und Schreiberin anschliessend an das Studium das Urteil beraten hatten, eröffnete Daniel Peyer dies sogleich: Freispruch von beiden Vorwürfen für Leila, die Kosten gehen zulasten des Staates.
«Aufgrund der vorhandenen Belege gibt es viele grosse Fragezeichen. So finde sich in dem Ordner ein Schreiben des Altersheims an die Gemeinde, dass bezüglich Mauros Rechnungen ein Lastschriftenverfahren bestehe. In einem weiteren Schreiben, datiert vom Mai 2017, hatte das Heim dies jedoch widerrufen: Mauros Rechnungen würden mit Einzahlungsschein gestellt.»
Schelte für den Staatsanwalt
In der Kurzbegründung kam der Staatsanwalt nicht ganz ungeschoren davon. So habe der Ankläger Leila unter anderem beschuldigt, ab dem 16. Januar 2017 mit Mauros EC-Karte Geld bezogen zu haben. Tatsache aber sei, dass die betreffende Karte Mauro erst am 18. Januar von der Bank zugestellt und die erste Abhebung damit am 19. Januar getätigt worden war. Es gebe Belege von vier weiteren Abhebungen mit einer anderen Karte, womit unter anderem eine Reisebüro-Rechnung beglichen wurde.
Von dem Geld, das mit der besagten EC-Karte abgehoben wurde, könne effektiv die Verwendung von knapp 13’500 Franken nicht klar zugeordnet werden. «Letztlich aber muss der Staat Leila nachweisen, dass sie das Geld für sich selbst verwendet hat und das konnte der Staatsanwalt hier nicht. Allerdings ist er verpflichtet, auch im Zweifelsfalle Anklage zu erheben.»