Sprunghaft mehr Patientenverfügungen wegen Corona – aber weniger Freitodbegleitungen im ersten Lockdown

Exit-Deutsche Schweiz ist die grösste Sterbehilfeorganisation in der Schweiz. Der Verein zählt aktuell über 135000 Mitglieder. Ist ein Mensch von unerträglichem Leid betroffen und wünscht sich einen Freitod, wird dieser Wunsch von der Organisation geprüft. Sind die Voraussetzungen für den legalen assistierten Suizid gegeben, wird das Mitglied in den Tod begleitet.

Zu den Kriterien gehören unerträgliches Leid, geistige Urteilsfähigkeit, Wohlerwogenheit und Konstanz des Sterbewunsches sowie Autonomie in der Durchführung. Auch in der Coronapandemie starben Menschen mit Exit. Aufgrund der Schutzmassnahmen des Bundes mit Distanz und Maske.

«Die Abklärungen finden, wenn immer möglich, im direkten Kontakt statt, um die genauen Lebensumstände der Patientinnen und Patienten kennen zu lernen», schreibt Jürg Wiler, Exit-Vizepräsident, auf Anfrage. Es würden jeweils persönliche Gespräche zu den Themen Sterben und Tod geführt; nicht nur mit den sterbewilligen Menschen, sondern auch mit Angehörigen. «Die Situation mit der Maske und der Distanz führt auch zu einer Distanz auf zwischenmenschlicher Ebene, die für uns völlig neu ist», so Wiler. Das sei sehr erschwerend und anspruchsvoll, sowohl für die sonst schon leidenden Patienten als auch für die Freitodbegleitpersonen. Rund 45 Freitodbegleitpersonen sind in freier Mitarbeit für Exit tätig.

Die Zahl der Anfragen sei während des Lockdowns im Frühling 2020 zurückgegangen. Ende März bis Anfang Mai 2020 führte der Verein wegen der Covid-19-Verordnung nur noch medizinisch dringende Freitodbegleitungen durch, die sich nicht verschieben liessen. Dazu gehörten Fälle wegen Atemnot oder unerträglichen Schmerzen. «Damals war der Zugang zu Mitgliedern, die in Alters- und Pflegeheimen leben, für uns praktisch nicht möglich.» Ab Anfang Mai und vor allem im Juli und August 2020 sei die Zahl der Anfragen als auch jene der effektiven Freitodbegleitungen wieder angestiegen. Die genauen Zahlen würden von Exit derzeit erhoben und Ende Februar publiziert.

Besonders grosser Ansturm im Januar

Ein weiteres Standbein der Organisation sind Patientenverfügungen. Aufgrund der Corona-Pandemie habe es einen sprunghaften Anstieg an Anfragen und Erneuerungen der Patientenverfügungen gegeben. «Mitglieder gelangen mit deutlich mehr Fragen an uns, ob ihre bereits erstellte Patientenverfügung ausreichend sei und wie diese hinsichtlich einer Corona-Infektion mit schwerem Verlauf ausgelegt werden würde», so Wiler.

«Auch hören wir vermehrt von betagten und hochbetagten Mitgliedern, dass sie bei einem schweren Krankheitsverlauf keine künstliche Beatmung mehr wollen.» Aktuell steche der Januar 2021 besonders hervor. «Innert drei Wochen erhielten wir bereits 1860 Zusendungen, mitunter bis zu rund 200 Patientenverfügungen pro Tag.»