
Ständeratswahlen: «Wermuth macht das Richtige, aber für das falsche Rennen»
Herr Hermann, wie repräsentativ ist die Online-Umfrage? Verzerrt es nicht das Bild, wenn eine Partei zum Mitmachen mobilisiert?
Michael Hermann: Es stimmt, dass Parteien mobilisieren. Wir sehen das jeweils, wenn nach einem solchen Aufruf viel mehr für eine bestimmte Partei teilnehmen. Deshalb nehmen wir aufgrund des bekannten politischen Verhaltens im Kanton Aargau statistische Gewichtungen vor.
Aber wie? Da kommt doch rasch die Gefahr der Manipulation auf.
Wir fragen zusätzlich, wer bei bestimmten Sachabstimmungen wie entschieden hat. Dort kennen wir das tatsächliche Ergebnis für den Kanton Aargau. Zudem kennen wir die Verteilung der Bildungsabschlüsse und vieles mehr. Da wir am Resultat gemessen werden, wäre Manipulieren weiss Gott nicht in unserem Interesse. Grundsätzlich sind es eher politisch Interessierte, die unsere Umfragen ausfüllen. Das hat den Vorteil, dass diese schon näher am tatsächlichen Wahlentscheid sind als weniger Interessierte. Zudem haben wir Erfahrungen aus vielen kantonalen Wahlen und dem nationalen Wahlbarometer.
Gibt es denn gelungene Beispiele?
Ja, zum Beispiel die jüngsten Zürcher Wahlen, wo wir die Trends richtig einschätzten, deren Ausmass aber unterschätzten. Dies zeigt, dass hier eine Momentaufnahme mit Unschärfen vorliegt, nicht eine vorweggenommene Wahl.
Der Stichprobenfehler beträgt plus/minus 2,1 Prozentpunkte. Heisst das, dass die BDP genauso gut stabil bleiben könnte? Gemäss Umfrage wird sie ja halbiert.
Der Stichprobenfehler ist bei einer kleinen Partei kleiner. Bei der BDP liegen wir sicher nicht 2 Prozentpunkte daneben. Dafür ist er bei einer grossen Partei mit gegen 40 Prozent, also etwa bei der SVP, eher grösser. Dennoch hat die BDP ihren Sitz noch nicht an ihren Listenverbindungspartner EVP verloren.
Was hat Sie bei der Nationalratsumfrage überrascht?
Da überrascht mich, dass die Grünliberalen im Aargau etwas mehr zulegen als die Grünen. Gemäss Umfrage wären sie auf demselben Stand. In den meisten Kantonen profitieren dagegen die Grünen stärker vom Klimathema als die GLP.
Könnte ein Grund sein, dass «grüne» Bürgerliche im stark bürgerlichen Aargau eher auf die GLP als auf die Grünen schwenken?
Das ist ein Teil der Erklärung. Generell sehen wir, dass die Grünliberalen im Umkreis ihrer Hochburg Zürich momentan am besten unterwegs sind.
Grössere Verluste auf hohem Niveau drohen der SVP. Kann diese ihren siebten Sitz trotzdem dank dem Team65+ verteidigen?
Team65+ kommt kaum über ein Prozent. Bei der SVP spiegelt sich, was national passiert. Mit minus vier Prozentpunkten sogar fast noch ausgeprägter. Im Aargau scheint auch der Linksrutsch deutlicher zu sein mit rund sieben Prozentpunkten zusätzlich für Grüne, SP und GLP.
Im Ständerat spiegelt sich dieser Trend aber überhaupt nicht.
Genau. Da tut sich eine grosse Schere auf. Im Nationalrat geht es eher nach links, und im Ständerat scheint es zumindest im Aargau nach rechts zu gehen. Cédric Wermuth wird es schwer haben, den Sitz von Pascale Bruderer zu verteidigen.
Dann verändert sich letztlich also gar nicht so viel?
Das zeichnet sich auch national ab. Zwar dürfte die Linke im Nationalrat gewinnen, im Ständerat dagegen eher verlieren. Im Aargau ist dies besonders zugespitzt. Als der Kanton noch rechter wählte, hatte er mit Christine Egerszegi und Pascale Bruderer zwei Vertreterinnen links der Mitte, künftig könnten es sehr gut zwei deutlich rechts der Mitte sein.
Was schliessen Sie daraus?
Das zeigt, wie sehr es auf die Konstellation ankommt, auf die jeweiligen Personen, ihre Mehrheitsfähigkeit, und dass es längst nicht nur eine Parteienwahl ist. Das zeigt sich auch bei Cédric Wermuth mit seinem extrem professionellen Wahlkampf. Er macht das Richtige, aber für das falsche Rennen. Seine Mobilisierungskampagne zielt eher auf eine Listenwahl wie die Nationalratswahlen.
Warum?
Die Umfrage zeigt, dass Wermuth kaum Unterstützung über das rot-grüne Milieu hinaus bekommt. Bei einer Personenwahl genügt Mobilisieren alleine nicht. Die sozialliberale Pascale Bruderer holte viel mehr Stimmen aus der Mitte. Aber auch jemand wie der St. Galler Ständerat Paul Rechsteiner, der wie Wermuth vom linken SP-Flügel stammt, geniesst als Büezer-naher Gewerkschaftsboss breitere Akzeptanz.
Jetzt läuft es also auf zwei bürgerliche Ständeräte hinaus.
Ja, wobei nach dem ersten Wahlgang womöglich viele sagen dürften, dass der Aargau mit Thierry Burkart und Hansjörg Knecht zu wenig abgebildet sei. Die beiden stehen ja nur für die rechte Hälfte der Wählerschaft. Eigentlich könnte dies auch die Chance für die Mitte sein. Doch diese ist gerade im Aargau sehr zersplittert. Ausserdem hat sich Marianne Binder bisher eher konservativ positioniert. Es ist für sie deshalb nicht ganz einfach, sich als Alternative zum Duo Burkart/ Knecht zu empfehlen.