
Streit um des Kaisers Bart
Der Zofinger Einwohnerrat besteht seit 1966. Ich kenne nicht die ganze Geschichte. Sicher ist aber, dass es immer wieder Beschlüsse gegeben hat, die – wie jetzt in Buchs – vom Volk an der Urne anders beurteilt wurden. Ein Beispiel ist die Erhöhung des Steuerfusses von 102 auf 105 Prozent im Herbst 2012. Der Einwohnerrat sagte, gegen den Willen der FDP, mit 21 zu 19 knapp Ja, die Stimmbürgerinnen und -bürger in der nachfolgenden Volksabstimmung jedoch mit 62 Prozent Nein. Ist das schlimm? Muss deshalb das Modell Einwohnerrat provokativ in Frage gestellt werden, wie es die Aargauer Zeitung in der Ausgabe vom 12. Februar 2019 tut?
Meine Meinung ist klar. Politik lebt von Diskussion und unterschiedlichen Ansichten. Es ist nichts als normal, dass Entscheide einmal so und einmal anders ausfallen – und vor allem soll das Volk immer das letzte Wort haben. So ist es in der direkten Demokratie der Schweiz und in unserem Föderalismus angelegt, und so soll es auch bleiben. Von daher darf ich als derzeitiger Präsident des Einwohnerrats Zofingen mit Stolz und Überzeugung feststellen, dass die Entscheidungsfindung in unserer Stadt hervorragend funktioniert. Alle Parteien und Fraktionen sind aktiv bestrebt, die – aus ihrer Sicht – beste Lösung zu finden und durchzusetzen. Das gelingt nicht immer; immer aber ist die Diskussion im Rat offen, ehrlich und engagiert. Die Qualität der einzelnen Sitzungen ist hoch, auch dank der intensiven Kommissionsarbeit, die im Vorfeld geleistet wird. Der Stadtrat hat damit ein wichtiges Korrektiv zur eigenen Position. Für Zofingen halte ich deshalb den Einwohnerrat weiterhin für den besten Weg.
Zugleich kenne und schätze ich auch die Vorteile einer Gemeindeversammlung aus eigener Erfahrung. In Oftringen aufgewachsen, bereits mit 19 Jahren in die Politik eingestiegen, war ich selbst mehrfach dabei. Jede und jeder kann sich äussern, sofern sie oder er denn will und den Mut hat. Das ist eine ideale Plattform, um sich unabhängig von Parteien eigenständig und in jungem Alter in politische Debatten einbringen zu können. Doch auch hier kann es sein, dass das Volk an der Urne anders entscheidet. Beispiele gibt es wohl in jeder Gemeinde. Die Kontroverse, die jetzt bemüht wird, ist es deshalb nichts anderes als ein Streit um des Kaisers Bart – um nichts. Beide Modelle haben ihre Berechtigung. Welches, darüber soll am Schluss wer entscheiden? Das Volk.
André Kirchhofer, Zofingen