
Streit um Medikamenten-Verkauf: Migros greift Behörde an
Sollen Patienten Baldrian-Tropfen oder pflanzliche Hustensirups beim Detailhändler kaufen können? Die Migros und der Konsumentenschutz sind entschieden dafür. Apotheker, Drogisten, Ärzte und verschiedene Hersteller sind klar dagegen. Die Migros kämpft schon seit Jahren für eine Lockerung der restriktiven Schweizer Regeln. Der Vorstoss in den Gesundheitsmarkt ist Teil der Strategie der Genossenschaft.
Anfang Dezember hat die Arzneimittelbehörde Swissmedic entschieden: Neben den 146 Medikamenten, die bereits heute im Detailhandel frei erhältlich sind, sollen weitere gut 90 Arzneimittel hinzukommen. Für die Migros ist das viel zu wenig, ihre Wunschliste war viel umfassender. Die Detailhändlerin hat ihrem Ärger über den Entscheid nun in einem Schreiben an Parlamentarier Luft gemacht.
Vertreter von Pharma, Ärzten und Homöopathen, Apothekern und Drogisten hätten praktisch geschlossen gegen jeden Kompromiss zugunsten des Detailhandels gestimmt, steht darin. Und weiter: «Sie bildeten sozusagen ein Kartell gegen die Aufweichung der heutigen Standards.» Swissmedic habe sich dabei dem Druck der Branchenvertreter gebeugt. Für die Migros stellt sich somit die Frage nach der Unabhängigkeit von Swissmedic. Nichts weniger als die Glaubwürdigkeit der Behörde stehe auf dem Spiel. «Die Schweizer sind zwar mündige Bürger, die über die Selbstbestimmung befinden dürfen. Doch wenn sie ein ‹Bobo› haben, werden sie staatlich gegängelt.»
Die Migros ist mit ihrer Wunschliste bei der Swissmedic fast gänzlich abgeblitzt. Weit oben standen beispielsweise Magen-Darm-Mittel auf pflanzlicher Basis, etwa zur Behandlung von Sodbrennen, Unwohlsein oder Völlegefühl. Kommerziell spannend wären auch Beruhigungsmittel und Präparate gewesen, die beim Einschlafen helfen. Selbst Erkältungsbäder schafften es nicht auf die Liste. Grünes Licht gab Swissmedic vor allem für Tee. Von den 91 Produkten sind 51 Tees, vorwiegend der Marken Künzle und Sidroga.
Politik wird aktiv
Der Migros sei es nie darum gegangen, so weit zu gehen, wie es die USA oder Grossbritannien handhaben, sagt Marin Schläpfer, Leiter Wirtschaftspolitik des Detailhändlers. In diesen Ländern können selbst Schmerzmittel im Supermarkt gekauft werden. Man habe sich mit den Forderungen an Deutschland orientiert. Das Land habe international gesehen einen Mittelweg beschritten, sagt der Migros-Lobbyist.
Enttäuscht vom Entscheid der Swissmedic ist auch der Konsumentenschutz. «In der Schweiz ist mehr Wettbewerb dringend nötig, damit die Preise von frei verkäuflichen Medikamenten sinken», sagt Geschäftsleiterin Sara Stalder. Im Vergleich zu Ländern wie Deutschland seien rezeptfreie Arzneimittel in der Schweiz zwischen 50 und 100 Prozent teurer.
Inzwischen ist auch die Politik aktiv geworden. FDP-Ständerat Ruedi Noser fordert in einem Vorstoss, dass sich die Schweiz künftig auf EU-Länder abstützen soll, die ein gleichwertiges System bezüglich Arzneimittelsicherheit aufweisen. Medikamente, die dort mindestens zehn Jahre ohne Probleme im Detailhandel verkauft wurden, sollen auch hierzulande überall erhältlich sein. «Es gibt keinen Grund, warum man den gut informierten Schweizer Bürgern unbedenkliche Heilmittel im Detailhandel vorenthalten sollte», sagte Noser der «Sonntagszeitung». Der Zürcher Politiker spricht von einer «völligen Bevormundung». Im Ausland seien viele solcher Medikamente schon seit Jahren ohne negative Folgen in der Selbstbedienung erhältlich. Stalder vom Konsumentenschutz begrüsst, dass sich das Parlament mit der Thematik weiterhin auseinandersetzen wird.
Klare Kriterien
Die Swissmedic wehrt sich derweil gegen die Vorwürfe der Migros. Die Vorgaben für die Einteilung der Medikamente in verschiedene Abgabekategorien seien vom Gesetzgeber definiert worden. «Aus Gründen der Arzneimittelsicherheit dürfen also nur Medikamente in der Selbstbedienung erhältlich sein, die keine Fachberatung brauchen und Patienten nicht gefährden können», sagt eine Sprecherin. Die von der Swissmedic vorgenommene wissenschaftliche Beurteilung habe sich auf klare Kriterien gestützt, die bekannt und publiziert seien.
Die Expertengruppe sei keineswegs einseitig zusammengesetzt worden. So seien ausgewiesene Fachleute diverser Abgabestellen darin vertreten gewesen. Swissmedic nennt etwa die Ärztevereinigung FMH, den Apothekerverband Pharmasuisse, den Schweizerischen Drogistenverband, die IG Detailhandel sowie die Patientenorganisationen und kantonalen Kontrollstellen. Zusätzlich seien Vertreter der zwei wichtigsten Herstellerverbände der betroffenen Arzneimittel einbezogen worden. Die gleichen Experten hätten Swissmedic auch bei der Evaluation der Neuzuteilung der Abgabekategorie C beraten. Hier geht es um Medikamente, die bislang nur in Apotheken, nicht aber in Drogerien verkauft werden. Diese wird nun aufgehoben.