
Streit um Praxisgebühr: Jetzt warnt der oberste Aargauer Arzt

Patienten sollen bei jedem Praxis- oder Spitalbesuch bis zu 40 Franken bezahlen müssen. Bar auf die Hand. Das verlangte der Aargauer SVP-Nationalrat Thomas Burgherr letztes Jahr in einer parlamentarischen Initiative (die AZ berichtete). Eine solche Praxisgebühr soll Patienten mit «Boboli» davon abhalten, einen Arzt oder die Notfallstation aufzusuchen, was sich wiederum positiv auf die Gesundheitskosten auswirken würde. Burgherr sagte damals: «Die steigenden Kosten bekommen wir nur in den Griff, wenn wir die Eigenverantwortung stärken.»
Die Gesundheitskommission des Nationalrats sieht das gleich. Sie hat seinen Vorstoss kürzlich mit zwölf zu zwei Stimmen bei zwei Enthaltungen angenommen. Auch ein Vorstoss von Nationalrat Thomas Weibel (GLP/ZH), der eine Gebühr von rund 50 Franken beim Eintritt in den Spitalnotfall forderte, wurde angenommen. Als Nächstes diskutiert die ständerätliche Kommission die beiden Vorstösse. Stimmt auch sie zu, kann ein Entwurf für eine Gesetzesänderung ausgearbeitet werden.
Modell scheiterte in Deutschland
Die Idee einer Praxisgebühr ist nicht neu: Schon alt Bundesrat Pascal Couchepin hatte eine solche Gebühr vorgeschlagen. Damals wollte die Gesundheitskommission des Nationalrats aber noch nichts davon wissen. In Deutschland wurde 2004 ein ähnliches Modell eingeführt. Da sich die Anzahl der Arztbesuche allerdings nicht verringert hatte, wurde die Praxisgebühr 2013 wieder abgeschafft.
Im Aargau brachte letztes Jahr die Fraktion der Grünen die Idee aufs Parkett. In einem Postulat verlangten sie, eine «Walk-in-Gebühr» für Patienten in Spital-Notfallaufnahmen einzuführen. Der Regierungsrat lehnte das Postulat ab. Es sei nicht möglich, eine solche Gebühr im kantonalen Recht zu verankern. Grundsätzlich scheint die Regierung der Idee aber nicht abgeneigt: «Eine Walk-in-Gebühr stellt eine prüfenswerte Möglichkeit dar, Patienten davon abzuhalten, wegen gesundheitlicher Bagatellen oder blosser Begehrlichkeiten die Notfallstationen aufzusuchen», heisst es in der Antwort.
Auch die Krankenkassen begrüssen die beiden Vorstösse aus Bern, wie die «NZZ» berichtete. Paul Rhyn, Sprecher des Dachverbandes Santésuisse, sagte: «Es ist gut, dass das Parlament nicht nur an die Eigenverantwortung der Versicherten appelliert, sondern sie aktiv lenken und motivieren will.» Ralph Kreuzer vom Verband Curafutura sagte in der «NZZ», nur über eine «zusätzliche Lenkungsabgabe» könne erreicht werden, dass die Patienten zuerst den Hausarzt und nicht das Spital aufsuchen.
Weitaus skeptischer beurteilten Spitäler und Ärzteverbände die Praxisgebühr. Jürg Lareida, Präsident des Aargauischen Ärzteverbandes, lehnt sie ab. Zwar könne eine «zusätzliche fallbezogene Gebühr theoretisch tatsächlich Kosten einsparen und unnötige Konsultationen verhindern», sagt er. «Allerdings besteht ein Risiko, dass auch Patienten, die einen Arzt benötigen, diesen zu spät aufsuchen und so die Kosten potenziell explodieren.» Im schlimmsten Fall könnten Menschen sterben, weil sie den Arzt zu spät aufsuchen.
Ausserdem erwartet Lareida, dass durch eine Praxisgebühr – insbesondere in den Spitälern – ein grosser administrativer Aufwand entsteht, «wenn die Gebühr unmittelbar in der Praxis erhoben werden muss». Lareida fragt rhetorisch: «Was tun, wenn jemand kein Geld hat? Dem Patienten sagen, er solle zuerst den Bancomaten aufsuchen?»
Minimaler Spareffekt
Vor allem für chronisch kranke Patienten wäre eine Praxisgebühr «eine Bestrafung». Dieses Problem sah auch Nationalrat Thomas Burgherr. Deshalb sieht sein Vorstoss vor, dass chronisch Kranke die Abgabe nicht bezahlen müssten. Da aber laut Lareida Patienten mit chronischen Erkrankungen den Hauptanteil der täglichen ärztlichen Konsultationen ausmachen, dürfte der Spareffekt insgesamt minimal sein. Für den Präsidenten des Aargauischen Ärzteverbandes ist deshalb klar: «Von diesem Modell sollten die Hände gelassen werden.»
Das Kantonsspital Baden (KSB) hält fest, dass immer mehr Personen mit gesundheitlichen Problemen direkt ins Spital gehen und dieses Verhalten Mehrkosten zur Folge haben kann. Das KSB trage diesem Umstand aber bereits seit 2007 Rechnung, indem gemeinsam mit Hausärzten eine Praxis eingerichtet wurde, sagt KSB-Sprecher Stefan Wey. «So können die Kosten trotz dem grossen Zuwachs im Griff behalten werden.» Von den jährlich rund 55’000 Notfallpatienten im KSB würden etwa 15’000 in der Notfallpraxis behandelt.
Zwar sei das Ziel, das Gesundheitssystem von Bagatellen zu entlasten, «im Ansatz richtig», sagt Wey. Eine allfällige Gebühr müsste aber «symbolisch tief sein, damit auch Patienten, die tatsächlich ins Spital gehören oder minderbemittelt sind, eine korrekte medizinische Behandlung nicht verpassen». Wie bereits Lareida befürchtet auch Wey, dass «das Inkasso enorme administrative Kosten verursachen würde, welche die Kosteneinsparungen unter Umständen übersteigen». Auch verärgerte Patienten wären vorprogrammiert. «Eine Praxisgebühr müsste darum über die Krankenkassen abgerechnet werden», sagt Wey.