Swiss-Ski-Präsident Urs Lehmann: «Wir lassen nur Zuschauer zu den Rennen zu, wenn es sich finanziell lohnt»

Urs Lehmann, am 18. Oktober startet die Weltcup-Saison in Sölden. Was erwarten Sie vom Corona-Winter?

Urs Lehmann: Es ist entscheidend, dass in den kommenden Monaten Weltcuprennen stattfinden. Wenn wir keine Weltcup-Serien durchführen würden – und da spreche ich nicht nur vom Alpinen, sondern von allen elf Sportarten, die Swiss-Ski vereint, also auch vom Nordischen, vom Snowboard und vom Freestyle – kollabiert das System.

Weshalb?

Wegen der ganzen Vermarktungsrechte, wegen der Wertschöpfung. Wenn die Sponsoren keine Medienpräsenz erhalten, fällt der Wert des Produkts in sich zusammen. Und weil dies alle begriffen haben, konnten wir bei Swiss-Ski, aber auch zusammen mit der FIS, Konzepte erarbeiten. Wir sind so weit vorbereitet, wie dies die momentane Situation zulässt – mit den steigenden Fallzahlen, den Grenzen, die tendenziell zugehen, den Restriktionen, die tendenziell zunehmen. Ob dann wirklich alles und unter den erhofften Prämissen durchgeführt werden kann, ist heute nicht voraussehbar.

Es gibt also grosse Unwägbarkeiten?

Definitiv. Ob wir den Plan umsetzen können, hängt von lokalen, regionalen und nationalen Kriterien ab. Es stellen sich diverse Fragen: Wie sind die Begebenheiten? Dürfen wir Zuschauer zulassen? Wie viele Zuschauer dürfen wir zulassen. In unseren aktuellen Szenarien gehen wir davon aus, dass grundsätzlich ohne Zuschauer gefahren wird. Wenn wir dann doch Zuschauer zulassen können, machen wir das nur, wenn es sich finanziell lohnt. Es darf nicht sein, dass die Kosten grösser sind als die Einnahmen. Wenn aber beispielsweise Austragungsorte wie Wengen oder Adelboden ein Konzept präsentieren, das für 10‘000 Zuschauer eine kostendeckende oder gewinnbringende Umsetzung erlaubt, kann dies angestrebt und beim Kanton Bern eine Sonderbewilligung beantragt werden.

Gut möglich, dass die Weltcup-Rennen in der Schweiz ohne Zuschauer über die Bühne gehen müssen. Weil es sich finanziell nicht lohnen würde.

Gut möglich, dass die Weltcup-Rennen in der Schweiz ohne Zuschauer über die Bühne gehen müssen. Weil es sich finanziell nicht lohnen würde. © Sven Thomann/Freshfocus / Blick

Wie viel wetten Sie auf die Durchführung der WM in Cortina d‘Ampezzo im kommenden Februar?

Darauf würde ich Geld setzen – allerdings nicht das ganze Vermögen (lacht). Aber wenn es zu keinem weiteren Lockdown kommt, wird die WM stattfinden. Auch dort sind Massnahmen getroffen. Derzeit geht man davon aus, dass 5000 Zuschauer pro Tag zugelassen werden. Zur Risikominimierung des Veranstalters hat die FIS zudem eine Defizitgarantie gesprochen. Der italienische Verband hegte Bedenken, dass er Millionen von Euro in den Sand setzen würde. Aber durch die Rückendeckung der FIS wird das Risiko tragbar.

Wie stolz sind Sie, dass die Schweiz nach 31 Jahren wieder den Alpin-Nationencup gewonnen hat?

Für mich war dies das ultimative Ziel. Und das besonders Schöne daran ist: Es war nicht gestohlen. Zwar verkürzte Corona die Saison, aber unser Vorsprung wuchs in dieser Phase tendenziell an. Dieser Erfolg war das Resultat von harter und konsequenter Arbeit des ganzen Teams und des ganzen Systems – auf allen Ebenen und in sämtlichen Sportarten. Disziplinübergreifend gewann Swiss-Ski 16 Kristallkugeln und drei Nationenwertungen. Die nächstbeste Nation ist Norwegen – mit deutlichem Abstand. Sportlich war der vergangene Winter wohl die erfolgreichste Saison von Swiss-Ski der Geschichte.

Und nun bewerben Sie sich um die Position des FIS-Präsidenten. Wie planen Sie Ihre Zukunft?

Ich bleibe dem Skisport sicher noch vier Jahre erhalten. Dies ist mit all meinen Anspruchsgruppen – meiner Familie, meinem Arbeitgeber Similasan, Swiss-Ski – so abgemacht. Die FIS wäre eine spannende Option. Sollte es mit der Wahl nicht klappen, stelle ich mich noch für eine weitere Amtszeit als Präsident von Swiss-Ski zur Verfügung – sofern ich im nächsten Juni nochmals gewählt würde.

Was ist Ihre Motivation für die Kandidatur? Machtanspruch?

Nein, definitiv nicht. Macht war für mich nie ein Antrieb. Mein Antrieb sind die Emotionen, die ich mit dem Sport verbindet – und die Effizienz, die ich erreichen will. Macht aber wäre der komplett falsche Ansatz. Bei Swiss-Ski kann ich grundsätzlich sagen, dass die Mission eigentlich erfüllt ist. Wir sind sportlich auf hohem Niveau stabil. Wir sind finanziell hochsolid. Wenn nichts Dramatisches passiert, sind wir bis 2026 finanziell abgesichert. Und wir sind auch strukturell so gut aufgestellt, dass wir uns nach vorne orientieren können. Die Themen, die wir momentan behandeln, sind alles Projekt für die Zukunft. Wie können wir uns weiter verbessern? Wie können wir das Marketing so verstärken, dass wir den Sport und die Athleten noch besser unterstützen können? Es gab eine Zeit, da mussten wir uns nach hinten orientieren und die verursachten Schäden korrigieren. Nun aber sind wir im Vorwärtsmodus. Bei der FIS liegt der Fall etwas anders. Der internationale Verband ist zwar ein wunderbares Konstrukt, aber es besteht ein gewisses Potenzial.

Gian-Franco Kasper präsidiert über 20 Jahre den Ski-Weltverband FIS.

Gian-Franco Kasper präsidiert über 20 Jahre den Ski-Weltverband FIS. © Jean-Christophe Bott / KEYSTONE

Wo besteht Handlungsbedarf?

Ich denke, ich könnte einen Beitrag leisten, die FIS dorthin zu bringen, wo sie viele Leute hinführen möchten. Es gibt verschiedene Bereiche, die man weiter entwickeln und stärken kann – vielleicht auch muss.

Der amtierende FIS-Präsident, der Bündner Gian Franco Kasper, gilt nicht unbedingt als Ihr „Wahlhelfer“. Was halten Sie davon?

Gian Franco sagt, dass er sich neutral verhalten muss. Das gilt es zu respektieren. Schweizer hin oder her. Aber genau da nehme ich ihn in die Verantwortung. Meine Erwartungshaltung ist, dass er sich neutral verhält – und sich entsprechend nicht für einen anderen Kandidaten ausspricht.

Am vergangenen Wochenende kam eher unvermittelt eine neue Dynamik in den Wahlkampf. Sarah Lewis, die sich sehr aktiv um die Nachfolge von Kasper bewirbt, wurde Knall auf Fall als Generalsekretärin der FIS entlassen. Was ist passiert?

Ich höre Gerüchte, und ich habe meine Informationen. Aber es liegt nicht an mir, diesen Vorfall zu kommentieren.

Was bedeutet dies für die Wahl? Neben dem schwedisch-britischen Milliardär Johan Eliasch und dem derzeitigen schwedischen Vize-Präsident Mats Arjes war Lewis mehr als nur eine Aussenseiterin…

….an ihrer Kandidatur muss die Absetzung als Generalsekretärin nichts ändern. Die Begründung der Trennung durch die FIS mit den Worten, dass das Vertrauen in Lewis komplett verloren gegangen ist, erhöht ihre Chancen aber kaum. Wenn mich jemand auf meine Chancen anspricht, sage ich immer: 100 Prozent dividiert durch die Anzahl Kandidaten, das heisst momentan vier, ergibt ungefähr 25 Prozent. Alles andere ist Interpretation oder Kaffeesatzlesen.

So oder so geht der Wahlkampf in die heisse Phase. Dürfen Sie die Infrastruktur von Swiss-Ski für Ihre Kandidatur benutzen?

Nein, auf keinen Fall. Alle meine Reisen und die Sekretariatsarbeiten bezahle ich selber.

Eigentlich hätte die Wahl schon im Frühling 2020 am FIS-Kongress in Pattaya staffinden sollen, einem Ort, der nicht unbedingt für seine Skipisten bekannt ist. Sendet dies nicht ein fragwürdiges Zeichen aus?

Einen FIS-Kongress in Pattaya zu veranstalten, ist sehr gewagt. Ich hätte das nie gemacht. An einen Ort zu gehen, der von seinem Image eher am unteren Ende der Skala anzutreffen ist und vor allem als Sex-Hotspot gilt, ist zweifelhaft. Für mich wäre es aber auch falsch, wenn man den Kongress in einem Skigebiet abhalten würde. Denn dort sind wir das ganz Jahr. Ausserdem sind wir ein Weltverband mit diversen Mitgliedern, die weder Berge noch Schnee haben. Und auch diesen Ländern muss man die Chance geben, eine Veranstaltung durchzuführen und ihnen eine Plattform zu bieten.