Tiefgreifende Gefühlswelten geweckt

«Wie kommt man dazu, eine Oper in der Kirche aufzuführen?», fragten sich die Veranstalter und kamen zum Schluss: «Nabucco ist eine Oper aus einem im Wesentlichen biblischen Stoff.» Wer an der musikalischen Umsetzung durch den Singkreis Wohlen, den Projektchor SMW Frick, das «Orchestra Sinfonica Carlo Coccia di Novara» sowie acht brillante Solistinnen und Solisten unter der Leitung von Dieter Wagner zugegen war, kommt noch zu einem anderen Ergebnis: Es war ein Geschenk des Himmels. Mehrere Minuten stehender Applaus anerkannten ein ausserordentliches Hörerlebnis. Zwar wurde vom italienisch gesungenen Inhalt wohl wenig verstanden, aber die Sprache der Musik ist eben auch ohne Worte verständlich. Wie heisst es doch im weltbekannten Gefangenenchor, der Perle von «Nabucco»: «Flieg, Gedanke, auf goldenen Schwingen.»

Giuseppe Verdi (1813–1901) vertonte 1841 das Libretto von Temistocle Solera und ein Jahr später erlebte «Nabucco» in der Mailänder Scala die Uraufführung, der sich 57 Wiederholungen anschlossen. Im ersten Akt sind die Hebräer in Salomons Tempel versammelt. Sie befürchten den Einmarsch des babylonischen Königs Nabucco (Enrico Marrucci, Bariton). Hohepriester Zacharia (Giovanni Battista Parodi, Bass) und seine Schwester Anna (Eleonora Caminada, Sopran) beruhigen, da die Hebräer Nabuccos Tochter Fenena (Manuela Barabino, Alt) als Geisel haben. Diese wird von Ismael (Danilo Formaggia, Tenor) behütet, ein Neffe des Königs von Jerusalem. Fenena hat ihn aus babylonischer Gefangenschaft befreit.

Friedliches Ende

Die beiden wollen flüchten, als Abigaille (Natasa Kàtai, Sopran) mit babylonischen Soldaten in den Tempel eindringt. Alle glauben, Abigaille sei Nabuccos erstgeborene Tochter. Sie ist in Ismael verliebt und bietet ihm an, alle Hebräer zu schonen, wenn er sie zur Frau nehme. Nun suchen verfolgte Hebräer im Tempel Zuflucht. Als auch Nabucco eintrifft, droht Hohepriester Zacharia, Fenena zu erstechen, wenn die Hebräer den heiligen Ort missachten. Ismael fährt dazwischen, Nabucco umarmt seine Tochter und befiehlt, den Tempel zu verbrennen.

Im zweiten Akt erfährt Abigaille ihre wahre Herkunft. Sie ist nicht Nabuccos Erstgeborene, sondern die Tochter einer Sklavin und deshalb entschlossen, Fenena, ihre Rivalin um den babylonischen Thron, zu beseitigen. Nabucco erklärt sich selbst zum Gott, den alle anbeten müssen. Blitze schlagen neben ihm ein, er verliert den Verstand.

Im dritten Akt ist es Abigaille gelungen, sich selber zur babylonischen Königin zu ernennen. Sie bringt den wahnsinnig gewordenen Nabucco dazu, das Todesurteil für die Hebräer inklusive Fenena zu unterschreiben. Die verzweifelten Hebräer lagern am Euphrat und beklagen ihr Schicksal. Diese Szene hat Verdi im unsterblichen Gefangenenchor verewigt.

Im vierten Akt erwacht Nabucco nach Angstträumen und hört, wie die Gefangenen und Fenena zur Hinrichtung geführt werden. Verzweifelt fleht er den israelischen Gott Jehova um Hilfe an und bekennt sich zu ihm. Von seinen Soldaten und seinem getreuen Abdallo (Michel Anner, Tenor) gefolgt, stürmt er den Tempel, vertreibt den Oberpriester des Baal (Jorgeandrés Camargo, Bass), Abigaille vergiftet sich und bittet sterbend um Verzeihung.

Ohne szenische Inszenierung

Der Verzicht auf jegliche optische Darstellung dieser spannenden und konfliktreichen Handlung wurde durch die Musik und ihre Interpretation ausgeglichen. Darin bestand die eigentliche Qualität dieser Oper in der Kirche. Schon in der Ouvertüre zeigte das Orchester seine Fähigkeit, Schwerpunkte in einer düsteren Stimmung zu setzen und diese gegen Schluss in die Melodie des Klage- und Hoffnungsliedes «Va, pensiero» münden zu lassen.

Die beiden Chöre vereinigten sich zu einer abgewogenen, von der jeweiligen Situation regulierten Klangfülle und -schönheit. Besonders wahrnehmbar war dies im Gefangenenchor. Dirigent Dieter Wagner gelang eine unglaublich lebendige dynamische Gestaltung durch das Herausholen eines gewaltigen «Forte» und dessen sanftes Verklingen. Und die acht Solisten: Es ist müssig, einzelne hervorzuheben. Alle verfügten über gleichwertige, wunderschöne Stimmen. Unvergesslich bleiben die kantilenen Partien von Arien im Einklang von Stimme und begleitender Flöte.