
Tierfutter kommt zur Hälfte aus dem Ausland: Ist «Schweizer Fleisch» bloss Etikettenschwindel?

Wie viel Schweiz steckt eigentlich im Schweizer Fleisch? Sehr viel, wenn es zum Beispiel nach der Kampagne «Schweizer Fleisch» vom Verband Proviande geht. Rechnet man das Tierfutter dazu, ist allerdings nicht mehr alles Swiss made. Denn: Viele Bauern verfüttern ihren Schweinen, Rindern oder Hühnern bekanntlich etwa Soja aus dem Ausland, allen voran aus Brasilien. Greenpeace Schweiz wollte es genau wissen und untersuchte zusammen mit der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHaW) die «verschlungenen Wege der Futtermittel».
Das Fazit: Über die Hälfte des Kraftfutters, das in der Schweiz an Nutztiere verfüttert wird, stammt aus dem Ausland. Die Schweizer Landwirtschaft ist somit stark abhängig von Futterimporten, heisst es im Bericht. Greenpeace Schweiz spricht im Zusammenhang von der Marke «Schweizer Fleisch» daher von Etikettenschwindel.
Die Importe würden die Umwelt zudem doppelt negativ beeinflussen, kritisiert Alexandra Gavilano, Projektleiterin Landwirtschaft und Klima bei Greenpeace: Erstens verursachen sie Emissionen im Herstellungsland, zweitens ermöglichen sie, in der Schweiz mehr Tiere zu halten, wodurch hier die ökologische Belastung noch erhöht wird – die Tierhaltung ist für das Klima schliesslich besonders belastend. «Wir sollten nur so viele Tiere halten, die wir auch selber ernähren können», so Gavilano.
Soja stammt vor allem aus Brasilien und Russland
Im Detail setzt sich das Tierfutter in der Schweiz laut dem Bericht wie folgt zusammen: Um alle Tiere zu ernähren, setzen Tierhalter pro Jahr rund 25 Millionen Tonnen Raufutter und 4 Millionen Tonnen Kraftfutter ein. Das Raufutter, zu dem Gräser, Klee, Kräuter und Mais gehören, stammt dabei zu fast 100 Prozent aus dem Inland.
Das Kraftfutter hingegen, das etwa aus Erbsen, Weizen und Soja hergestellt wird und reicher an Energie und Eiweissen ist, kommt jedoch zu 55 Prozent aus dem Ausland. Jährlich würden so rund 1,4 Millionen Tonnen Futtermittel in die Schweiz importiert (gemessen am Trockengewicht statt am Frischgewicht). Die grössten Weizen-Mengen kommen aus Deutschland und Frankreich, die grössten Soja-Mengen aus Brasilien und Russland. In Brasilien steht der Anbau in Zusammenhang mit der Regenwald-Abholzung in Kritik.
Erstaunt habe die Projektleiterin die Erkenntnisse über den Futtereinsatz: Während weltweit über die Hälfte des Sojafutters in die Pouletmast fliesst, wird in der Schweiz der grösste Anteil an Rindvieh verfüttert. Dies, weil die Hochleistungsrassen in der Milchproduktion ebenfalls auf eiweissreiches Kraftfutter angewiesen seien. «Dieser Unterschied hat mich am meisten überrascht», sagt Gavilano, die neben ihrer Tätigkeit bei Greenpeace auch bei Extinction Rebellion aktiv ist, einer Umweltbewegung, die mittels zivilem Ungehorsam gegen die Folgen der Klimakrise kämpft. Viel Kraftfutter geht zudem in die Schweine- und Pouletmast.
Proviande verweist aus Schweizer Standards
Ausgehend vom Bericht fordert Greenpeace Schweiz nun unter anderem, dass das «schädliche System» nicht mehr mit öffentlichen Geldern unterstützt wird. Sprich, der Bund soll den Absatz der von Importen abhängigen Produkten nicht mehr fördern. Im Jahr 2019 gab der Bund insgesamt 62 Millionen Franken für die Absatzförderung aus, 29 Prozent (18 Millionen) davon für tierische Produkte, 13 Prozent (8,2 Millionen) für pflanzliche Produkte. In die Absatzförderung im Ausland (vor allem Käse) flossen 34 Prozent (rund 21 Millionen).
Der Bund äussert sich auf Anfrage nicht zu dem Bericht. Mit grosser Wahrscheinlichkeit wird er der Greenpeace-Forderung aber nicht nachkommen: So verweist das Bundesamt für Landwirtschaft darauf, dass der Bundesrat jüngst dargelegt habe, dass er die Unterstützung der Werbung für Schweizer Fleisch als gerechtfertigt erachtet.
Und was sagt der Verband Proviande, der in dem Greenpeace-Bericht am stärksten angesprochen wird? In Schweizer Fleisch stecke mehr als nur die Zahl von Futtermittelimporten, nämlich beispielsweise auch Schweizer Tierschutzstandards, heisst es in einer Stellungnahme. Und weiter: «Die Schweizer Bevölkerung ernährt sich zu rund 60 Prozent mit importierten Nahrungsmitteln. Sind wir deshalb keine Schweizerinnen und Schweizer mehr und sollen den roten Pass abgeben?»