Todesfalle Mähen – wie Drohnen Rehe retten können

«Die Muttertiere verstecken ihre Jungen in den Wiesen.» Ernst Bühler, Vordemwaldner Jagdaufseher
«Die Muttertiere verstecken ihre Jungen in den Wiesen.» Ernst Bühler, Vordemwaldner Jagdaufseher
Martin Flückiger (l.) und Hansueli Weber von der Jagdgesellschaft Aarburg-Oftringen-Rothrist sind oft als Duo unterwegs, um mit der Drohne Felder abzufliegen.Bilder: Remo Wyss
Martin Flückiger (l.) und Hansueli Weber von der Jagdgesellschaft Aarburg-Oftringen-Rothrist sind oft als Duo unterwegs, um mit der Drohne Felder abzufliegen.Bilder: Remo Wyss
Die Drohnen der Jungtierretter sind mit einer hochauflösenden Wärmebildkamera ausgestattet. Auf dem Monitor können Wärmepunkte erkannt werden.
Die Drohnen der Jungtierretter sind mit einer hochauflösenden Wärmebildkamera ausgestattet. Auf dem Monitor können Wärmepunkte erkannt werden.
Ernst Bühler, Jagdaufseher in Vordemwald, «verblendet» die zu mähenden Felder. Die flatternden Bändel veranlassen das Muttertier, seine Jungen herauszuholen.
Ernst Bühler, Jagdaufseher in Vordemwald, «verblendet» die zu mähenden Felder. Die flatternden Bändel veranlassen das Muttertier, seine Jungen herauszuholen.
Findet Hansueli Weber ein Rehkitz, deckt er es mit einer Obstharasse zu, damit es nicht wegrennen kann.
Findet Hansueli Weber ein Rehkitz, deckt er es mit einer Obstharasse zu, damit es nicht wegrennen kann.

Strammen Schrittes geht Ernst Bühler durch ein Feld in Vordemwald. Im hüfthohen Gras zieht er eine Schneise, auf seiner Schulter trägt der ehemalige Waldarbeiter mehrere Eisen, an denen gelbe Bändel baumeln. Hier und da rammt er eines der Eisen senkrecht in den Boden. Die Bändel flattern im Wind, richtige Wellen gehen durch das Gras. Die Nachmittagssonne brennt heiss vom Himmel und treibt Bühler den Schweiss ins Gesicht. Plötzlich bleibt er stehen und deutet auf eine Spur umgeknickter Gräser. «Hier ging ein Dachs durch», erklärt der Vordemwaldner Jagdaufseher. Durch die niedere Statur drückte er die Gräser ganz flach und strich seinen dreckigen Bauch an ihnen ab. Doch Bühler geht nicht durch das Feld, um Spuren zu lesen. Der Landwirt, dem das Land gehört, will am nächsten Tag mähen. Bühler verblendet es nun, wie es im Jägerjargon heisst. «Zurzeit können sich in den Feldern Rehkitze aufhalten. Die Muttertiere verstecken ihre Jungen in den Wiesen», erklärt Bühler. Instinktiv machen sich die Kitze so klein wie möglich, um nicht von möglichen Fressfeinden entdeckt zu werden.

Umgeben vom hohen Gras sind die kleinen Rehe quasi unsichtbar. Mäht nun der Landwirt sein Feld, hat er keine Chance, ein verstecktes Kitz zu sehen. Deshalb die Eisenstangen mit den Bändeln dran. Rehe können in der Nacht gut sehen, erklärt Bühler. Erkennt eine Rehmutter die Bändel im Wind, sieht sie dies als Gefahr für ihr Kleines und holt es in der Nacht aus dem Feld – rein theoretisch zumindest. «Manchmal holen sie die Kleinen aber vor lauter Angst nicht raus. In der Vergangenheit hatte ich schon Fälle, in denen ein Kitz unmittelbar neben einer der Stangen lag und nicht von der Mutter rausgeholt wurde», so Ernst Bühler. Die Landwirte können sich beim jeweiligen Jagdverein meldenAuch wenn das Verblenden keine sichere Methode sei, Rehe mit ihren Jungen zu vertreiben, sei sie besser als nichts, meint Bühler.

Landwirte können sich beim Jagdverein ihrer Gemeinde melden

Am Abend vor dem Mähen wird dann das Feld verblendet. «Maximal zwei Nächte sollte man nach dem Verblenden mit dem Mähen zuwarten. Sonst hat es keinen Effekt mehr auf die Tiere», erklärt Ernst Bühler. Ein Problem gibt es dann, wenn alle Landwirte miteinander mähen wollen und es an Zeit und Material fehlt, um alle Felder zu verblenden. «Auch wenn ich in den 37 Jahren, in denen ich nun Jagdaufseher bin, den einen oder anderen Sonntag im Sommer für das Verblenden geopfert habe, mache ich es gern.» Die hässliche Alternative ist, dass viel mehr Rehkitze in Mähwerken landen und von Bühler und seinen Kollegen erlöst werden müssen. «Ein kleines Rehkitz, dem die Vorderläufe abgehackt wurden und das vor Schmerzen schreit, tut im Herzen weh.»

Eine andere Taktik wendet Hansueli Weber aus Rothrist an. Der Jungjäger ist seit dem letzten Jahr ein von der Rehkitzrettung Schweiz und der Stiftung Wildtiere Kanton AG ausgebildeter Drohnenpilot. Er fliegt die – im besten Fall am Vorabend verblendeten oder angemähten Felder – am frühen Morgen mit seiner Drohne ab. Diese ist mit einer hochauflösenden Wärmebildkamera ausgestattet. Rund zehn Minuten reine Flugzeit benötigt er pro Hektare. «Wenn wir die Felder zwischen 5 Uhr und 7 Uhr morgens abfliegen, ist der Boden so kalt, dass ein Rehkitz auf dem Monitor als Wärmepunkt sichtbar ist», erklärt Weber seine Taktik. Die zu mähenden Felder werden zuvor in der Drohne einprogrammiert. Diese fliegt die Felder dann nach einem eigenen Muster selbst ab. Entdeckt der Pilot eine Wärmesignatur, geht er oder sein Partner auf den Wärmepunkt zu. Ein Monitor, der das Bild der Kamera live anzeigt, hilft dabei. «Wir sehen uns selbst als Wärmepunkte auf dem Bildschirm und können so abschätzen, wo wir hingehen müssen», sagt Hansueli Weber. Handelt es sich beim Wärmepunkt tatsächlich um ein Rehkitz, wird es mit einer Obstharasse abgedeckt. Das verhindert, dass das Tier aufspringt und davonrennt – und die Suche wieder von vorne beginnt. Bevor der Landwirt mit dem Mähen beginnt, wird das Kitz aus dem Feld getragen und ausserhalb an einem schattigen Platz wieder unter die Harasse gesetzt. Dort wartet das Kitz in Sicherheit, bis das Feld fertig gemäht ist.

Das erste Mal, dass Weber mit seiner Drohne in der laufenden Setzzeit ein Kitz aufspüren und in Sicherheit bringen konnte, war am vergangenen Mittwochmorgen. Bis dahin hatte er rund 20 Flüge in meist zuvor verblendeten Feldern absolviert. «Einmal rannten zwei Kitze davon. Die waren schon etwas älter und verliessen auf ihrer Flucht das Feld.» Das Kitz vom Mittwoch war lediglich zwei oder drei Tage alt. «Es war so gut versteckt im hohen Gras, dass ich genau danebenstand und es ohne Wärmebild nicht sehen konnte», erzählt Weber. Um es wegzutragen, nahm Weber grosse Grasbüschel in die Hände, um das Reh nicht direkt anzufassen. Das Anheben der Harasse und das Hochheben des Tieres sind dabei kritische Momente, da das Jungtier plötzlich mit einem Fluchtreflex reagieren könnte.