Ton und Text im Einklang der Aussage

Das Konzert im Kulturhaus West stand unter dem Motto «Liederabend mit den Mahlers». Gemeint war damit das Ehepaar Alma (1879–1964) und Gustav (1860–1911) Mahler. Nach dessen Tod hatte Alma Beziehungen zu verschiedenen berühmten Persönlichkeit der Kunst-, Musik- und Literaturszene in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ab 1900 nahm Alma Mahler Kompositionsunterricht bei Alexander von Zemlinsky (1871–1942), mit dem sie damals ein Verhältnis hatte. Nach langem Zaudern trennte sie sich von ihm und heiratete im März 1902 Gustav Mahler. Dieser hatte sie zuvor im Dezember 1901 schriftlich vor die Wahl gestellt, ihr Komponieren einzustellen oder von der Heirat Abstand zu nehmen.

Das Konzertprogramm enthielt zehn Lieder von Gustav Mahler, drei von Alma sowie sieben Klavierstücke von Alexander von Zemlinsky. Damit bekam die damalige spätromantische Musikkultur ihr typisches Gesicht.

Musikalische Seltenheit

Achim von Arnim (1781–1831) und Clemens Brentano (1778–1842) sammelten von 1805 bis 1808 mehr als 700 deutsche Volkslieder. Davon vertonte Gustav Mahler 24 Texte, eine Auswahl von 10 stand im Programm des Liederabends. Für das Publikum war es eine Entdeckung von unvergänglichem Kulturgut, tief verankert in der Volksseele und Themen ansprechend, die heute noch aktuell sind, häufig sinnbildlich, manchmal heiter und witzig, aber auch tiefsinnig und hintergründig. Alexander Puhrer (Bariton) ist es gelungen, ohne Noten und Text genau die darin angesprochenen Themen erfass- und nachvollziehbar auszulegen. Stets auf deren Besonderheiten eingehend, konnte er ohne Körpersprache ganz auf die Klangfarben seiner Stimme vertrauen und die inhaltlichen Aussagen beim Publikum einbringen. Dieses konnte dem musikalischen Geschehen in den abgegebenen Liedertexten folgen und so den Sinn der Lieder mit den Ohren und Augen erfassen.

In «Um schlimme Kinder artig zu machen» kommt ein Herr zum Schlössli auf einen schönen Rössli und fühlt sich beim Besuch seiner heimlichen Liebsten von den anwesenden Kindern gestört. Manchmal erhalten die Lieder einen in Ton und Takt martialischen Charakter. Zum Beispiel in «Aus! aus!», wo ein Mädchen in das Kloster geht, weil ihr Geliebter es vorzieht, in den grünen Mai zu marschieren.

Das Spektrum der Gefühlswelten ist weitläufig. In «Das irdische Leben» vertröstet eine Mutter ihr nach Brot hungerndes Kind auf die Ernte des Korns, das Dreschen und das Backen. Das Kind stirbt, bevor das Brot gebacken ist. In «Wo die schönen Trompeten blasen» stehen sich innige Liebesgefühle und der Drang zum Militärdienst gegenüber, siehe «Im Aargäu sind zwöi Liebi». Bei all diesen Beispielen aus «Des Knaben Wunderhorn» faszinierte die Übereinstimmung in Akzentuierung, Modulation und Einfühlungsvermögen zwischen Klavierbegleitung und Solostimme. Das erhob die Wiederentdeckung von «Des Knaben Wunderhorn» zum Erlebnis einer musikalischen Seltenheit. Darüber war man sich nach dem Konzert einig.

Einbezug von Mahlers Umfeld

Alma Mahler griff in ihren drei zur Aufführung gelangten Liedern nicht auf Poesie im Volksmund zurück, sondern auf zeitgenössische Dichtung von Richard Dehmel (1863–1920), Julius Bierbaum (1865–1910) und Rainer Maria Rilke (1875–1926). Sie erweist sich darin als eigenständige Komponistin, die keinerlei Anleihen bei ihrem Gatten Gustav bedarf, aber auch nicht über dessen Einfallsreichtum in der Auslegung von Stimmungsbildern verfügt. Klaviersoli von Matthias Kipfer bereicherten den Liederabend mit «Ländliche Tänze» opus 1 von Alexander von Zemlinsky, ein hochbegabter Pianist. In sieben solche Tänzen mit den Titeln «Mit Wärme», «Flüchtig», «Träumerisch», «Hinträumend» «Energisch», «Heiter» und «Ländler-Tempo» führte Matthias Kipfer vor, welche Virtuosität es braucht, um diese Vorgaben zu erfüllen.