
Tore ausserhalb des Spielfeldes
Es war 1998. Gilbert Gress, heute 76, war damals Coach der Schweizer Nationalmannschaft. Ein viel beschäftigter Mann also, der im Fokus der Öffentlichkeit stand. In diesem Jahr landete ein Brief aus Strengelbach beim Schweizerischen Fussballverband. Absender: FC Traktor azb, Strengelbach, ein Fussballteam mit Menschen mit einem Handicap. Es fragte an, ob er, Gress, nicht als Ehrentrainer amten könnte. Ein Funktionär, der mit Gress die Post durchging, fand das keine so gute Idee. Für so etwas habe ein Nationalcoach doch keine Zeit.
Gress sah das anders. Für die wirklich wichtigen Dinge im Leben scheint die Fussball-Legende immer Zeit gefunden zu haben. So kam es zum ersten Besuch in Strengelbach. Bis heute blieb Gress der Mannschaft treu – letzten Dienstag verbrachte er wieder einen Abend mit dem FC Traktor. An die grosse Glocke hängt er das nicht. Menschen mit einer Behinderung bereicherten sein Leben, weil sie so authentisch seien, sagt er (das Interview finden Sie hier).
Gress’ Beispiel zeigt: Die schönsten und wichtigsten Tore schiessen wahre Fussball-Helden ausserhalb des Spielfeldes; wenn kaum einer zuschaut und kein begehrter Pokal lockt. Und gilt nicht fürs Leben, was für den Fussball gilt? Gress ist ein Held, weil er sich nicht verbiegen liess – als es 1966 hiess, seine «Beatles»-Frisur müsse er für die WM in England weg, entschied er sich für seine Mähne. Menschen, die ihm lieb geworden sind, bleibt er treu – den Friseur wechselt er erst, wenn dieser in den Ruhestand tritt. Und er weiss: Das nächste Spiel ruft, Zeit hat man deshalb ja nie – ausser man nimmt sie sich.
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