Trotz erster Stein- und Herbstpilze: Für viele Pilze ist der Boden zu nass

Die Pilzsaison ist dieses Jahr früher gestartet als erwartet: Das feuchte Wetter im Sommer lockte etwa Steinpilze schon vor fünf Wochen aus dem Boden, berichtet Markus Flück, Pilzexperte aus dem Kanton Solothurn und Autor mehrerer Pilzratgeber. Auch Morcheln habe er auffällig viele gefunden. «Es ist sehr eigenartig dieses Jahr», hängt er an. Eigenartig, weil derzeit viele typische Herbstpilze aus dem Boden schiessen wie beispielsweise die Herbsttrompete oder der Maronenröhling. Erstere seien in den vergangenen Jahren wegen der starken Trockenheit eher rar gewesen.

Diese Entwicklung bestätigt auch Ruth Reimann, Pilzexpertin und Vizepräsidentin des Vereins für Pilzkunde Fricktal. Sie ist vorwiegend in der Region Fricktal, Bern und Wallis unterwegs und sei ebenfalls vermehrt auf Herbstpilze wie zum Beispiel Herbstpfifferlinge gestossen. «Das liegt sicher an den kalten, nassen und trüben Tagen in den letzten Wochen», sagt sie. «Man hatte ja fast das Gefühl, es sei Herbst.» Handkehrum vermisse Reimann beispielsweise Champignons, die im Sommer üblicherweise nach einer trockenen Periode und anschliessendem Niederschlag aus dem Boden spriessen.

Je nach Region sei die Pilzvielfalt jedoch ganz unterschiedlich: In manchen Wäldern habe Reimann kaum Pilze gefunden, in anderen hingegen sehr viele. Sie führt das auf die Niederschlagsmengen, Bodenbeschaffenheit und Lichtverhältnisse zurück, die je nach Region variierten. In Zusammenhang mit den Standorten habe auch Markus Flück, der vorwiegend im Jura, Mittelland oder im Emmental in die Pilze geht, eine spannende Beobachtung gemacht.

Wuchsen die Pilze letztes Jahr noch in Lichtungen und ausgesetzten Stellen, finde man sie diese Saison vor allem unter Bäumen und an geschützten Plätzen – also dort, wo normalerweise keine Pilze wachsen. «Es ist einfach zu nass für sie», so die Schlussfolgerung des Experten. «Ich habe noch nie einen so verregneten Sommer erlebt.»

Niemand versteht das Verhalten der Pilze so genau

Auch Urs Widmer ist viel in den Schweizer Wäldern unterwegs. Er ist Pilzexperte und unterstützt auf freiwilliger Basis das nationale Daten- und Informationszentrum für Pilze SwissFungi beim Kartografieren und Erfassen jeglicher Pilzarten, die in der Schweiz wachsen. Es sei in der Tat eine komplexe Angelegenheit mit den Pilzen, sagt er. Die starken Niederschläge hätten die Artenvielfalt enorm beeinflusst: Es gäbe allgemein sehr wenige Pilzarten zu finden im Moment, das merke er auch bei der Pilzkontrolle. «Es werden nur wenig Pilze in die Kontrolle gebracht.»

Warum das so ist, kann er nicht genau sagen. Er geht davon aus, dass die Umweltfaktoren derzeit einfach ungünstig sind für den Pilz, da der Boden überall gesättigt ist. «Die allermeisten Pilze haben derzeit Mühe.» Wenn Widmer über den Pilz spricht, meint er allerdings das Myzel, den eigentlichen Pilz, der sich als flaumiges, wurzelartiges Geflecht durch den Waldboden zieht. Was an der Waldoberfläche wächst, ist nämlich nur die Frucht davon, welche die Sporen des Pilzes davonträgt.

Das Myzel selber sei sehr widerstandsfähig und wisse genau, welche Bedingungen ideal für die Frucht seien. Oft würden dabei die Witterung und die Bodenbeschaffenheit eine Rolle spielen, aber selbst die Wissenschaft könne heute nicht exakt vorhersagen, wann das sein wird.

Widmer geht aber davon aus, dass mit den wärmeren Temperaturen wieder mehr Pilze wie Steinpilze oder Eierschwämme wachsen werden. «Es kann dann plötzlich sehr schnell gehen.» Auch Flück und Reimann sind überzeugt, dass nach dem Sommerwetter die ruhige Phase enden wird.